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Cannes 2013 Das Gegenfestival von Cannes: «La Quinzaine des réalisateurs»

Auch mit seiner 66. Ausgabe bleibt das Filmfestival von Cannes das wichtigste der Welt. Nicht zuletzt, weil es auch ein Konkurrenz-Festival beherbergt: Die «Quinzaine des réalisateurs» entsprang der Studentenrevolte von 1968 und war Sprungbrett für einige heute weltbekannte Regisseure.

Im Mai 1968 flogen in Paris die Pflastersteine, während sich im 680 Kilometer entfernten Cannes an der Côtes d’Azur die Schönen und die Smarten der internationalen Filmszene mit Champagner zuprosteten und die Frühlingssonne genossen. Im Wettbewerb waren Filme wie «Peppermint frappé» des Spaniers Carlos Saura oder «Je t'aime, je t'aime» von Alain Resnais.

In der Jury sassen unter anderen die italienische Schauspielerin Monica Vitti und der britische Bond-Regisseur Terence Young, aber auch Roman Polanski und der französische Filmemacher Louis Malle.

Sturm auf den Palais des Festivals

Als zu den Berichten über Strassenschlachten in Paris auch noch die Nachricht kam, dass der von allen Filmemachern verehrte Gründer und Leiter der Cinémathèque Française, Henri Langlois, abgesetzt worden wäre, kam es zum Eklat.

Junge Filmemacher, allen voran Jean-Luc Godard, François Truffaut und Claude Lelouch, aber auch Milos Forman stürmten den Palais des Festivals, einige hängten sich an den roten Vorhang, um die Vorführung von «Peppermint frappé» zu verhindern, und forderten Solidarität mit den Studenten und Arbeitern. Als sich auch noch die Jurymitglieder Louis Malle und Roman Polanski solidarisch erklärten, wurde das Festival von 1968 offiziell abgebrochen.

In der Folge gründeten 180 Filmemacher gemeinsam die «Société des réalisateurs de films» und setzten durch, dass im Rahmen des Festivals von Cannes eine eigene, solidarische und nicht kompetitive Reihe konstituiert wurde, die «Quinzaine des réalisateurs» oder «Directors‘ fortnight» wie sie seither international heisst.

Alle Filme kommen frei zur Welt

All die diplomatischen, wirtschaftlichen und ideologischen Restriktionen, welche dem offiziellen Festival bei seiner Filmauswahl immer wieder unterstellt wurden, sollten aussen vor bleiben. In Anklang an die Formulierung der Menschenrechte verkündeten die Filmemacher mit charakteristischem Pathos, alle Filme kämen frei und gleich an Würde und Recht zur Welt, es gelte, ihnen dabei zu helfen, es auch zu bleiben: «Les films naissent libres et égaux entre eux : il faut les aider à le rester».

Seit der Gründung erwies sich die «Quinzaine» als eigentlicher Vorreiter des Autorenkultes, der heute den offiziellen Wettbewerb von Cannes charakterisiert. Viele der später grossen Namen des globalen Kinos bekamen ihre erste Chance als unbekannte Nachwuchsregisseure in Cannes an der «Quinzaine» – bevor sie dann in den offiziellen Wettbewerb des Festivals aufrückten.

Debut von Sophia Coppola

Portrait der Filmemacherin Sophia Coppola.
Legende: Auch für die US-amerikanische Regisseurin Sophia Coppola war die «Quinzaine» das Sprungbrett in die Filmkarriere. Reuters

Im dritten Jahr der «Quinzaine» debütierte da zum Beispiel ein junger Amerikaner namens George Lucas mit seiner Science-Fiction-Parabel «THX 1138». 1999 präsentierte die «Quinzaine» Sophia Coppola, die Tochter von Francis Ford, mit «The Virgin Suicides». Vier Jahre später war sie im Wettbewerb von Venedig mit «Lost in Translation» und 2006 schliesslich mit Kirsten Dunst als «Marie Antoinette» im offiziellen Wettbewerb von Cannes. Dieses Jahr zeigt das offizielle Festival ihren «Bling Ring» in der Sektion «Un certain regard».

Die «Quinzaine» öffnete die Leinwände der Welt für unbekannte Debütanten wie Werner Herzog, Theo Angelopoulos, Ken Loach oder Michael Haneke. Das Prinzip dahinter erklärte der erste «Délégué général», Pierre-Henri Deleau, der die Quinzaine 30 Jahre lang leitete, für überaus simpel: Niemand habe ein besseres Sensorium für kommende Talente als eifersüchtige Filmemacher selbst, welche grummelnd das Können der Konkurrenz anerkennen müssen.

Und während das offizielle Festival vor allem seine arrivierten Namen hätschelt, sich schwer tut mit Neuankömmlingen und ganz besonders mit Frauen im Regiestuhl, erweist sich die «Quinzaine» Jahr für Jahr als Treibhaus und Fundgrube und als Sprungbrett für neue Talente.

«Quinzaine» gut für Schweizer

Eines dieser Talente ist der junge schweizerisch-portugiesische Doppelbürger Basil da Cunha. Letztes Jahr war er mit «Os vivos tambem choram» («Les vivants pleurent aussi») und im vorletzten Jahr mit «Nuvem» («Le poisson lune») ins Kurzfilmprogramm der «Quinzaine» eingeladen. Jetzt ist der 28-Jährige, der an der Genfer Kunsthochschule HEAD studiert hat, mit seinem ersten langen Spielfilm «Até ver a luz» («Après la nuit») mitten unter den neuen Stars der «Quinzaine».

Ebenfalls als «Quinzaine»-Uraufführung ist der Dokumentarfilm «L'escale» von Kaveh Bakhtiari in Cannes zu sehen. Es ist der erste lange Dokumentarfilm des schweizerisch-iranischen Doppelbürgers, koproduziert von Louise Productions (Lausanne), und handelt von Menschen, die den Iran verlassen, um sich den Traum von einem besseren Leben in Freiheit zu erfüllen. Im Kurzfilmprogramm schliesslich bekommt Marie-Elsa Sgualdo mit «Man kann nicht alles auf einmal tun, aber man kann alles auf einmal lassen» ihre erste grosse Chance.

Dass vor allem die Westschweizer einen guten Draht zur «Quinzaine» haben, hat wohl nicht zuletzt damit zu tun, dass der spätere Direktor des Filmfestivals von Locarno, Olivier Père, von 2004 bis 2010 Chef der «Directors‘ Fortnight» war. Der aktuelle «Délégué générale» ist Édouard Waintrop. Er 26 Jahre lang Filmkritiker bei der «Libération», bis vor kurzem Leiter des Filmfestivals von Fribourg und seit 2010 Programmleiter der Cinémas du Grütli in Genf.

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