Was macht ein Schauspieler, wenn er selbst mal bestimmen will? Wenn die Nase voll davon hat, einzig als Projektionsfläche für die Fantasie anderer zu dienen? Dann versucht er sich als Regisseur. Ryan Gosling hat sich diesen Wunsch erfüllt, das Resultat war nun in Cannes zu sehen.
Und um seinen Ambitionen als Alleskönner noch ein bisschen Nachdruck zu verleihen, sieht man ihn im Katalog des Festivals mit Kamera in der Hand. «Lost River» ist Goslings erster Film als Regisseur und auch noch das Drehbuch dazu schrieb der Schauspieler selbst.
Ryan Gosling: durchgeknallt, makaber, überzeichnet
Gosling inszeniert vor dem Hintergrund der Finanz- und Immobilienkrise das Drama einer Kleinfamilie in einer nahezu verlassenen Stadt. Dabei beweist der Mittdreissiger ein Gespür für das Durchgeknallte, das Makabere und die Überzeichnung.
Doch Gosling ist zu verliebt in sein bizarres Setting, das er zwar kraftvoll in Szene setzt, in dem man sich aber kaum zurecht findet und daher bald das Interesse verliert. Vielleicht herrschte mehr Klarheit, wäre Gosling unter eigener Regie auch selbst vor die Kamera getreten? Der Schauspieler Gosling hätte den Film von Regisseur Gosling vielleicht retten können.
Angesichts dieses Urteils könnte man darauf verfallen, ein Plädoyer gegen Grenzgänger der Arbeitswelt zu halten: «Schuster, bleib bei deinen Leisten». Wären da nicht noch andere Beispiele für die Personalunion von Regisseur und Schauspieler.
Mathieu Amalric: raffiniert montiert
Zum Beispiel Mathieu Amalric, der unter eigener Regie zur Höchstform aufläuft. Das hatte er bereits in «Tournée» bewiesen und nun auch in seinem neuen Film «La Chambre bleue». Schon formal setzt Amalric Zeichen: Mit dem beinahe quadratischen 4:3-Bildformat setzt er sich selbst in eine Box, beengt wie in einer Gefängniszelle. Auf den Knast läuft die Kriminalgeschichte dann auch hinaus. Sie basiert auf dem gleichnamigen Roman von George Simenon aus dem Jahr 1963.
Wer das Opfer ist und welche Tat genau begangen wurde, erfahren wir allerdings erst eine Stunde nach Filmbeginn. Dabei begleiten wir Amalric als tatverdächtigen Julian vom ersten Moment an. In «La Chambre bleue» wird nicht chronologisch erzählt, stattdessen raffiniert montiert. Der Tathergang muss vom Zuschauer rekonstruiert, Beweise müssen studiert und Zusammenhänge hergestellt werden. Es geht um eine klandestine Liebesbeziehung zwischen zwei Verheirateten und ein daraus resultierendes Verbrechen. Als Schuldige kommen alle in Frage oder auch niemand, und keiner sagt die Wahrheit. Das ist äusserst spannendes und durch das Miträtseln unterhaltsames, geradezu interaktives Kino.
Tommy Lee Jones: tolles Kostüm, toller Blick
Selbst Regie führen – und sich selbst dann auch einiges als Schauspieler abverlangen – das kann auch Tommy Lee Jones, wie er in seiner zweiten Regiearbeit zeigt. «Homesman» wettstreitet in Cannes um die goldene Palme. Zum Beispiel wie Jones in Cowboy-Unterwäsche und mit russverschmiertem Gesicht gefesselt auf einem Pferd sitzt, unter einem Baum mit Strick um den Hals und auf den Langmut des Gauls hofft. Allein schon das Kostüm ist toll – und dann dieser Blick!
Es kann Vorteile haben, wenn der Regisseur den Schauspieler besonders gut kennt. Die Doppelrolle kam Cannes in diesem Jahr zwei Mal zu Gute.