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Filmer Lionel Baier mit Videokamera und sein Vater während des Drehs zu seinem Debütfilm.
Legende: «Die grösste Herausforderung war, die richtige Distanz zu meinem Vater einzuschätzen», sagt Filmer Lionel Baier. zvg

CINEMAsuisse - Special «Das schmerzhafteste Editing»: Lionel Baier zu seinem ersten Film

Die Arbeit am Debütfilm «Celui au pasteur – Ma vision personnelle des choses» konfrontierte Lionel Baier tief mit der Beziehung zu seinem Vater – behutsam und ehrlich ging er dem protestantischen Pfarrer auf die Spur. Heute sagt er im Interview: «Ich schaue mir nicht gern meine alten Filme an.»

Lionel Baier, Was erzählen Sie, wenn Sie heute in einer geselligen Runde auf ihren Debütfilm «Celui au pasteur» von 1999 zurückblicken?

Ich schaue mir nicht gerne meine alten Filme an. Es ist ein komisches Gefühl und es schwingt eine Art Desillusionierung mit. Vor einigen Wochen wurde im Fernsehen auf die neue Reihe CINEMAsuisse hingewiesen. Dabei wurde ein kleiner Ausschnitt aus «Celui au pasteur» gezeigt. Ich konnte mich nicht mal mehr erinnern, dass ich diese Szene gefilmt hatte. Trotzdem: Es war ein wichtiger, wenn auch schwieriger Film für mich.

Der Film «Celui au pasteur»

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Mit knapp 24 Jahren drehte Lionel Baier diesen persönlichen Film – eine Art Spurensuche, um seinen Vater zu verstehen, den er als Kind gefürchtet und als Jugendlicher verachtet hatte. Der protestantische Pfarrer ist eine so machtbewusste wie widersprüchliche Persönlichkeit. Baier begleitet ihn bei seinen Tätigkeiten und konfrontiert ihn mit Fragen.

Was machte den Film schwierig?

Die Tragweite und Intimität des Themas habe ich erst mit dem Schnitt erlebt. Wenn du filmst, bist du in Aktion, aber beim Schneiden wirst du brutal mit dem Thema und deiner Beziehung dazu konfrontiert. Es war sicher das komplizierteste und schmerzhafteste Editing von all meinen Filmen. Natürlich weiss man das im Voraus und es wird immer betont. Aber es ist etwas anderes, wenn du es wirklich erfährst. Es war so hart, weil es mein erster Film war, der erst noch hautnah mit meinem Leben verknüpft war.

In welcher Situation befanden Sie sich?

Der Film behandelt die Beziehung zu meinem Vater, den ich lange Jahre nicht mehr gesehen hatte. Ich ging mit 16 von Zuhause weg und kehrte mit 22 das erste Mal wieder zurück. Kurz darauf begann ich mit dem Film. Er war wie der Versuch, zu verstehen, was geschehen war. Ich hatte keine Filmschule besucht und realisierte dieses Projekt. Ich investierte mein eigenes Geld. Nach einem Jahr erhielt ich eine zusätzliche Unterstützung vom Westschweizer Fernsehen. Das gab einen zusätzlichen Druck, dass der Film gut werden musste.

Gibt es Fehler im Film, die Sie seither vermeiden oder Passagen, die Sie im Nachhinein so nicht mehr drehen würden?

Die grösste Herausforderung war, die richtige Distanz zum Thema, zu meinem Vater, einzuschätzen. Ich hatte lange Angst, meinen Vater zu interviewen. Zuhause ging das schlecht, das war sein Territorium. So verlegte ich die meisten Interview-Szenen in den Wald. Nicht ganz zufrieden bin ich an einigen Stellen mit meinem Kommentar. Heute würde ich gewisse Voice-over-Szenen weglassen, respektive eine andere Lösung dafür suchen.

Überwiegt bei Ihnen Stolz oder Scham, wenn Sie den Debütfilm heute sehen oder jemandem zeigen?

Ich bin stolz, aber nicht in erster Linie auf den Film an sich, sondern auf die Tatsache, dass ich ihn gemacht habe. Ich war noch nicht 25 Jahre alt. Das Filmen hatte mich schon länger interessiert. Statt während Jahren nur davon zu reden, habe ich diesen Film in relativ kurzer Zeit hingekriegt. Es macht mich auch glücklich, dass ich meine Filmographie mit diesem Film begonnen habe. All seine Qualitäten und Probleme sind eng verknüpft mit dem Jungsein, mit dieser Phase, da ich dieses Vorhaben anpackte.

Zur Person

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Lionel Baier (1975) arbeitete ab 1996 als Regieassistent für zahlreiche Filmproduktionen. Seit 2002 leitet er die Filmabteilung an der Hochschule für Kunst Lausanne. 2009 war er Mitgründer der Bande à part Films. Zu seinen erfolgreichsten Spielfilmen gehören «Garçon Stupide» (2004), «Comme des voleurs (à l'est)» (2006) und «Un autre homme» (2008).

Wie war dieser Film für ihren Vater und ihre Familie?

Als der Film erstmals gezeigt wurde, gab es zahlreiche Artikel in den Medien, in denen auch meine Familie thematisiert wurde. Das war ungewohnt für sie. Damit hatten sie nicht gerechnet. Aber der Film machte ihnen definitiv klar, dass ich Filmemacher sein wollte. Zudem ist eine Art Umkehrung eingetreten: Früher war ich der Sohn des Pfarrers – celui au pasteur –, aber nach dem Film wurde der «pasteur» ab und zu gefragt, ob er der Vater dieses Filmemachers sei.

War es schwierig, sich selber als Person in diesen Film einzubringen?

Nein, es war ja ein Teil des ganzen Prozesses. Viel schwieriger war das im nächstfolgenden Film «La Parade» (2002), wo ich mich vor der Kamera als Homosexuellen geoutet habe. Da wird man schnell etikettiert.

Für den ersten Film braucht es eine gute Idee, Geld und gute Freunde. Was sagen Sie dazu?

Eine gute Idee und gute Freunde sind sicher wichtig, beim Geld bin ich mir nicht so sicher. Du kannst auch ohne viel Geld einen guten Film machen. «Celui au pasteur» hätte ich auch ohne Unterstützung des Fernsehens gemacht. Ich lasse nie ein Filmvorhaben sausen wegen des Geldes. Selbst wenn ich vom Bund kein Geld erhalte, bleibe ich dran. Es gibt immer einen Weg, einen Film zu finanzieren. Ich habe auch viel Glück gehabt, dank Freunden, die mich unterstützten.

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