Frau Meier, Sie erhielten vor etwas mehr als zehn Jahren vom Kultursender Arte die Möglichkeit, Ihren ersten Spielfilm zu drehen. Wie kam es dazu?
Normalerweise schreibt man ein Drehbuch und sucht dann einen Produzenten und Geld. Bei mir war genau das Gegenteil der Fall. Arte sah meine Kurzfilme und fragte mich an, einen Film zur Reihe «Männlich/Weiblich» zu drehen. Dies in Ko-Produktion mit dem Westschweizer Fernsehen. Das Budget war also da, und ich konnte mich ganz dem Thema widmen.
Ein grosses Privileg.
Absolut, und für mich eine grosse Ehre! Schnell war mir klar, dass ich die Handlung im Sport verankern wollte, da dort der Körper im Zentrum steht. Bei der Hauptfigur verändert sich dieser durch den Sport ins Maskuline, zur gleichen Zeit aber durch die Pubertät ins Feminine. Arte setzte bei dieser Filmreihe voraus, dass man mit kleinen Videokameras drehen müsse. Ich entschied mich für DV-Kameras und ging bewusst ganz nahe an die Person heran, um ihren Körper, gar ihre Gedanken erfassen zu können. Hätte ich im Körper drehen können, ich hätte es getan!
Die Hauptfigur versucht beflissen, ihren Körper zur Laufmaschine zu perfektionieren. Als Kind waren Sie selbst eine Athletin. Was floss von dieser Zeit in dem Film ein?
Es ist nicht meine Geschichte, aber ich stellte mir damals die Frage: Wie ist es, Leistungssport zu betreiben, aber gleichzeitig zur Frau zu werden? Als ich dann mit 14, 15 den Film entdeckte, hörte ich mit der Leichtathletik auf. Bei der Realisierung von «Die Sprinterin» wurde mir jedoch klar, dass sich Film und Sport sehr nahe sind. Der Regisseur ist wie ein Coach, der den Athlet, oder eben den Schauspieler, beobachtet und Anweisungen gibt. Der Körper wird in Szene gesetzt, Leistungen werden erbracht. Mein Kino ist sehr physisch, mich interessieren weniger die Worte als die Bilder und die Körper darin. Ich habe das Gefühl, das kommt vom Sport.
Was würden Sie als die grösste Herausforderung bei «Die Sprinterin» bezeichnen?
Ich hatte wenig Zeit, drehte im selben Jahr auch noch einen Dokumentarfilm. Aber es war sehr gut, diese Verpflichtung zu haben. Das machte den Entstehungsprozess viel kreativer.
Öffnete «Die Sprinterin» für Sie die Tür für Kinoproduktionen?
Das war so, aber das wusste ich natürlich zu diesem Zeitpunkt nicht. Ich war daran, «Home» zu schreiben, aber das Drehbuch war noch nicht fertig. Dann kam diese Gelegenheit wie aus dem Nichts. Eine glückliche Fügung.
In «Home» wie auch in «Winterdieb» und «Die Sprinterin» spielen Kinder und Jugendliche zentrale Rollen. Was fasziniert Sie an ihnen?
Ich mag, dass sie nicht nach der Norm leben. Als Kind oder Teenager darf man verrückte Dinge tun. Ich etwa hatte eine sehr blühende Fantasie, einen eigenwilligen Blick auf Leute und auf die Welt. Heute gebrauche ich diesen, um Filme zu machen.
Wie zufrieden sind Sie heute mit Ihrem Debüt?
Das kann ich Ihnen nicht sagen, weil es mir unmöglich ist, meine Filme in Gut oder Schlecht einzuordnen. Vielmehr setze ich mich mit ihrem Entstehungsprozess auseinander. Bei mir geht es nie darum, einen Film zu drehen, nur um einen Film gedreht zu haben. Es ist immer eine Frage des Verlangens, ihn machen zu wollen. Filmemachen ist für mich ein sehr intuitiver Prozess.
Wenn die Ursula Meier von heute der Ursula Meier von damals einen Rat geben könnte, wie würde der lauten?
Ich habe keinen. Sich selber sein, wobei ich das damals auch war.
Vermissen Sie etwas aus der Zeit Ihres Debüts?
Nein. Ich bin glücklich, seit ein paar Jahren mit den gleichen Leuten zusammenarbeiten zu können. Ich fühle auch nicht, dass ich die damalige Unschuld verloren habe. Sie gilt es zu beschützen.
Wie tun Sie das?
Es ist wie eine kleine fragile Flamme, die am Brennen gehalten werden muss. Man kann technisch noch so gut Regie führen. Wenn man nicht diese Unschuld und einen wunderlichen Blick auf die Welt behält, nützt das nichts.