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Debatte um die «Lex Netflix» So will Netflix den Schweizer Ständerat beeinflussen

Netflix kündigt seine erste Schweizer Produktion an – mitten in der Debatte, ob Streaming-Anbieter in der Schweiz zu Investitionen verpflichtet werden sollen. Zufall? Wohl kaum, finden Kritiker.

Es war eine kleine Sensation: Vor knapp zwei Wochen kündigte Netflix an, erstmals einen Film in der Schweiz zu produzieren. Der deutschsprachige Film «Early Birds» werde in Zusammenarbeit mit der Schweizer Produktionsfirma Hugofilm und CH Media Entertainment realisiert, hiess es in einer Mitteilung. Er soll Ende 2022 Premiere feiern.

Eine Schweizer Netflix-Koproduktion: Darauf hat man in der hiesigen Filmbranche schon lange gewartet. Der Zeitpunkt der Ankündigung sorgt jedoch für Stirnrunzeln: Weder Regie noch Rollenbesetzung sind bekannt und die Mitteilung kommt just vor der Debatte im Ständerat über die Revision des Filmgesetzes.

Darum geht es im revidierten Filmgesetz

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Unternehmen, die in der Schweiz Filme über elektronische Abruf- oder Abodienste anbieten, sollen jährlich mindestens vier Prozent ihrer Bruttoeinnahmen für das unabhängige Schweizer Filmschaffen aufwenden oder eine Ersatzabgabe zahlen. Das soll auch für ausländische Dienste gelten, schlägt der Bundesrat vor. Der Nationalrat hat den Ansatz im letzten Herbst von vier auf ein Prozent gesenkt. Eine Mehrheit fand, die vier Prozent seien im internationalen Vergleich zu hoch, besonders für kleine Anbieter. Vertreterinnen der Filmbranche entgegnen, ohne substanzielle Investitionsverpflichtung gebe es für Netflix und Co. zu wenig Anreiz, im Hochpreisland Schweiz zu produzieren. Die Anbieter würden dann ins Ausland ausweichen. Die vorberatende Kommission des Ständerats plädiert für die vier Prozent. Der Ständerat berät am Montag über die Vorlage. Kommt er zu einem anderen Entscheid als der Nationalrat, geht das Geschäft dorthin zurück.

Streit um Investitionspflicht für Netflix und Co.

Mit der «Lex Netflix» sollen ausländische Streamingdienste wie Netflix oder Disney+ verpflichtet werden, einen kleinen Teil ihrer Schweizer Einnahmen in die hiesige Filmproduktion zu investieren. Ob das ein oder vier Prozent der Einnahmen sein sollen – darüber wird momentan im Parlament gestritten.

Drei Tage nach der Ankündigung des Films «Early Birds» verschickte Netflix einen Brief an Schweizer Ständeräte. Darin plädiert Netflix für eine Investitionspflicht von maximal ein oder zwei Prozent des Gesamtumsatzes – vier Prozent seien unverhältnismässig und würden den Markt verzerren. Als Beleg für die Bereitschaft von Netflix, auch ohne gesetzliche Vorgaben in die Schweizer Filmbranche zu investieren, wird der Film «Early Birds» angeführt.

Ein PR-Coup von Netflix?

Interessant: Der Film war ursprünglich das Projekt einer deutschen Produktionsfirma, wenn auch mit Schweizer Drehbuchautor. Erst als Netflix an Bord kam, wurde die Produktion in die Schweiz verschoben. Ist das Zufall, mitten in der politischen Debatte um das neue Filmgesetz?

«Das riecht nach einem PR-Coup», meint Thomas Tribolet vom Schweizerischen Verband der Filmproduzentinnen und -produzenten. «Es sieht aus, als würde Netflix mit dem Filmprojekt Druck machen auf die Schweizer Politik.»

Netflix bestreitet Zusammenhang

Netflix bestreitet auf Anfrage den Zusammenhang des Filmprojekts mit der politischen Debatte. Die Vorbereitungen für «Early Birds» liefen bereits seit 2019 mit dem deutschen Produzenten und seit Sommer 2020 auch mit Hugofilm. Der Zeitpunkt der Ankündigung sei allein davon bestimmt gewesen, wann die Vereinbarungen mit den Partnern standen. Ein solches Vorhaben dann auch öffentlich anzukündigen, sei üblich, schreibt Netflix.

In dieselbe Kerbe schlägt Christof Neracher von Hugofilm: «Dass eine Filmproduktion in ein anderes Land verlegt wird, ist durchaus normal, wenn sie besser dorthin passt.» Als Schweizer Produzent dürfte Neracher allerdings an der höheren Investitionspflicht für Netflix und Co. interessiert sein. Dass nun Netflix mit «Early Birds» für einen tieferen Ansatz lobbyiert, dazu möchte er sich nicht äussern. Er habe vorher auch nichts davon gewusst.

Dilemma für Schweizer Filmschaffende

Christof Neracher betont einen anderen Aspekt der ersten Schweizer Netflix-Produktion: «Das ist nicht nur für uns von Hugofilm eine grosse Chance, sondern für die ganze Filmbranche der Schweiz.»

Darin pflichten ihm Thomas Tribolet vom ProduzentInnenverband und andere Kolleginnen und Kollegen bei. Produzentin Elena Pedrazzoli sagt: «Dass Hugofilm auf das Projekt einsteigt, ist verständlich. Das hätte bei einem interessanten Projekt wohl jede und jeder von uns gemacht.»

Die Schweizer Filmbranche und Netflix: Es ist im Moment kompliziert. Netflix lobbyiert gegen die Interessen der Produzentinnen, ist aber zugleich ein attraktiver Partner, mit dem man zusammenarbeiten möchte. Kritik an Netflix wird von den meisten deshalb nur leise geäussert.

Für welche Seite der Ständerat mehr Gehör hat, wird die Debatte am Montag zeigen.

Sendebezug: Radio SRF 4 News, Nachrichten, 31.05.21, 09:30 Uhr

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