Auf dem Papier klingt es todtraurig: Zwei erwachsene, trostlose Einfaltspinsel in ausgewetzten Kleidern hadern mit den Tücken der Welt. Sie sind meist zerstritten und verursachen allerorts beträchtlichen Materialschaden.
Komplexer als eine Zirkusnummer
Beide kommen zeitlebens nie mit dem anderen Geschlecht klar und lassen auch gegenüber den einfachsten Herausforderungen nicht den Ansatz einer geistigen Entwicklung erkennen. In der realen Welt müssten sie wohl beide motorisch und psychologisch therapiert werden.
Und trotzdem, oder vielleicht gerade deswegen: Die ganze Welt, ohne Einschränkung von Altersklassen, lacht über Laurel und Hardy. Man liebt die beiden innig, obwohl man sie als Gäste im eigenen Haus wahrscheinlich keine Viertelstunde aushalten würde. Sie sind Clowns, aber die Chemie zwischen den beiden und ihrem Publikum ist dennoch viel komplexer als in einer beliebigen Zirkusnummer.
Kleinkind im Männerkörper
Einer der Gründe, warum man Laurel und Hardy liebt: Sie sind nicht nur kindisch, sondern emotional glaubwürdige kindliche Wesen. Laurel ist ungefähr auf dem Entwicklungsstand eines Dreijährigen anzusiedeln.
Er ist naiv und glücklich, weitgehend unberührt von der erwachsenen Welt. Er folgt weitgehend seiner eigenen absurden Logik, kratzt sich am Haar, wenn er etwas nicht versteht, und verursacht das unausweichliche Chaos nie aus Zerstörungswillen, sondern weil er Befehle allzu wörtlich nimmt oder missversteht.
Der grössere Bruder
Hardy hingegen ist mit Konflikten behaftet: Er hat im Gegensatz zu seinem Partner bereits von der erwachsenen Welt gehört, und er möchte Teil von ihr sein. Im Innersten ist er davon überzeugt, dass er gesellschaftsfähig wäre, hätte er nicht diesen Klumpfuss von Laurel am Bein.
Entsprechend herablassend behandelt er seinen ungelenken Partner, der ihm bei seiner Gefallsucht in die Quere kommt. Er erklärt ihm arrogant die Welt und deren Sitten, er weist ihn zurecht und gibt ihm im Schadensfall – manchmal berechtigt, manchmal nicht – die Schuld. Er ist der grössere Bruder im elternlosen Haus.
Ohne den anderen kaum denkbar
Eher als von Chemie müsste man bei Laurel und Hardy von einer magnetischen Kraft sprechen. Einerseits ist es ein Wunder, dass es die beiden Figuren überhaupt aushalten miteinander.
Andererseits ist der eine ohne den anderen kaum denkbar. Und auch das macht die beiden so liebenswert: Obwohl sie in einer Art Zwangsgemeinschaft leben und sich auf regelmässiger Basis die Hölle heiss machen, herrscht stets so etwas wie eine gegenseitige Zuneigung, um nicht zu sagen: Eine innere Abhängigkeit.
Asexueller Charakter
Diesen starken emotionalen Kern braucht es, denn die Welt von Laurel und Hardy ist meist keine Märchenwelt: Viel eher ist es eine Welt des Krieges, der Grossen Depression, der Prohibition, des Wilden Westens und der Fremdenlegion. Freunde haben die beiden nur selten, verheiratet sind sie zwar in manchen Filmen, aber in einer glücklichen Liebesbeziehung nie. Das würde gegen den asexuellen Charakter ihrer Persönlichkeiten verstossen.
Abkehr von den Vorgängern
Aber während die Beziehung zwischen Laurel und Hardy und die daraus resultierende Komik von jedem Kind verstanden und in den meisten Fällen geschätzt wird, rätselt die Filmwissenschaft bis heute, wie dieses gewagte Konzept aufgehen konnte.
In diesem Zusammenhang muss man zuerst einmal feststellen: Laurel und Hardy machten alles anders als ihre Vorgänger. Buster Keaton, Harold Lloyd und Charlie Chaplin waren in ihren temporeichen Filmen elegante Akrobaten, Charmeure und Frauenhelden, die der Schwerkraft zu widerstehen schienen oder ihr zumindest ein poetisches Schnippchen schlugen. Keaton, Lloyd und Chaplin waren alle spezialisiert darauf, der Katastrophe knapp zu entkommen.
Bei Laurel und Hardy hingegen tritt jede Katastrophe unweigerlich ein, und die beiden Taugenichtse stehen mittendrin, meist haben sie das Debakel selbst verursacht. Es ist eine Komik des Aufpralls, der Zerstörung, des Missgeschickes, der Dummheit, des körperlichen Schmerzes – und das oft in unerreichter Ausgedehntheit und Langsamkeit.
Abstruse Theorien
Dieser Umstand, gekoppelt an die unreife Natur der beiden Protagonisten, hat im Rahmen der Filmwissenschaft zu zahlreichen Interpretationen geführt, insbesondere zu abstrusen psychoanalytischen Theorien. Von unterdrückter Homosexualität und deren Folgen ist etwa die Rede, von kategorischer Sabotage an zivilisatorischen Werten, von offensichtlichem Frauenhass. Ein Wunder, dass sich Sigmund Freud nicht persönlich zu Laurel und Hardy geäussert hat.
Trotzdem: Wir lachen heute noch über Stan und Ollie – meistens sogar sehr laut. Und warum das so ist, das muss letztlich jeder für sich selbst beantworten.