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Film & Serien Die erstaunliche Spät-Karriere der Helen Mirren

Charakterdarsteller erweisen sich als unverwüstlich, das gilt insbesondere für die Britin Helen Mirren. In Hollywood war sie lange verkannt. Heute kostet sie als über 60-Jährige die Rolle der brachialen Killerin genauso aus wie die der verschlossenen Agentin. Eine Würdigung.

«Älter, härter, besser»: So lautet der etwas hilflose deutsche Zusatztitel zum Film «RED» – was eigentlich so viel heisst wie «Retired, Extremely Dangerous», also «Pensioniert, höchst gefährlich». Dieser Kassenschlager, dessen Fortsetzung gerade ins Kino kommt, gehört zu einem zunehmenden Backlash gegen den Jugendwahn in Hollywood. Hiess es bis vor kurzem noch, dass Stars – vor allem weibliche – über 40 keine guten Rollen mehr bekämen, so tummeln sich heute (Fast-)Rentnerinnen zuhauf in allen Genres. Selbst im Actionfilm, der sich mit Osteoporose und anderen Gebresten nur schlecht zu vertragen scheint.

Älter, härter und besser sind aber tatsächlich einige der Mitwirkenden in diesen Streifen. Während Stallone und Schwarzenegger in ihren eigenen Senioren-Stücken «The Expendables 1» und «2» oder aktuell «Escape Plan» mimisch kaum über sich hinauswachsen und bei schwindendem Testosteronspiegel nur noch mit Mühe ihre Muckis aufpumpen können, erweisen sich Charakterdarsteller als unverwüstlich. Dazu zählt auch Helen Mirren.

In Grossbritannien ein Star, in Hollywood verkannt

In ihren Anfängen machte die 1945 im Osten von London geborene Tochter eines Russen vor allem wegen der Freizügigkeit ihrer Auftritte von sich reden, am Theater und in Filmen des New British Cinema. Schon als junge Muse eines Malers in Michael Powells «Age of Consent» (1969) war sie hüllenlos, und 1979 erwarb sie sich in dem von Penthouse finanzierten Streifen «Caligula» von Gore Vidal und Tinto Brass endgültig Skandalruhm (wie ihre angesehenen Ko-Stars Peter O’Toole und John Gielgud). Was sie seit Jahren auf der Bühne der Royal Shakespeare Company leistete, zählte dagegen wenig.

In John Mackenzies wegweisendem Gangsterfilm «The Long Good Friday» (1980) erlebte sie an der Seite des Bullterrier-haften Bob Hoskins ihren internationalen Durchbruch und in John Boormans «Excalibur» (1981) verführte sie als Hexe Morgana König Artus. Kurz vor dem Mauerfall verkörperte sie im Ost-West-Thriller «White Nights» (1985) eine Russin – und erkor sich Regisseur Taylor Hackford zum Lebenspartner. Sie zog mit ihm nach Hollywood, wo sie aber als Über-Vierzigjährige lange keine Rollenangebote bekam. Sie sah sich gezwungen, zwischen Los Angeles und London zu pendeln, denn in der Heimat blieb sie ein Star.

Für Peter Greenaway gab sie im theatralischen Anti-Thatcher-Drama «The Cook, the Thief, His Wife and Her Lover» (1989) die geknechtete Gangsterbraut Georgina, bevor sie 1991 als toughe Polizistin Jane Tennison in der TV-Reihe «Prime Suspect» zum Aushängeschild des unideologischen Feminismus wurde.

«RED» – Grosskalibrige Albernheit

Seither hat sich die 2003 geadelte Helen Mirren auf die subtile Verkörperung von Königinnen («Elizabeth I», 2005, und «The Queen», 2006; im Theater «The Audience», 2013) und anderen distinguierten Ladies spezialisiert. Spätestens seit ihrem Oscar für ihre Darstellung von Elizabeth II. hat aber auch Hollywood aufgemerkt und Mirren zu engagieren begonnen, auch in ungewöhnlichen Rollen.

In Robert Schwentkes Comicverfilmung «RED» zeigte sie sich 2010 von einer ungewohnt brachialen Seite. Erstaunlich überzeugend gab sie mit 65 eine ausrangierte CIA-Killerin, die sich mit allen möglichen Waffen auskennt und nichts von ihrer tödlichen Treffsicherheit eingebüsst hat. Die süffisante Eleganz ihrer Victoria abseits des Schussfelds gestattete Mirren auch, ihr komödiantisches Talent auszuspielen, insbesondere in Szenen mit ebenbürtigen Darstellern wie John Malkovich, Morgan Freeman, Brian Cox und, ja, Bruce Willis, dessen gewandte Anfänge im Comedy-Fach («Moonlighting», dt. «Das Model und der Schnüffler») zu oft vergessen gehen.

Auch beim Drehen des Sequels scheint Mirren Spass gehabt zu haben. Im Blog auf ihrer Website schreibt sie jedenfalls, dass sie das Wiedersehen mit ihren Ko-Stars genossen habe. Als sie die beinharte, dauermürrische Jane Tennison verkörperte, gab sie zu, sich nach etwas Albernheit zu sehnen; die «RED»-Filme geben ihr viel Gelegenheit dazu.

Stimmiges Schuld-und-Sühnedrama «The Debt»

Weniger spassig, aber Mirrens schauspielerischer Fähigkeit (die immerhin viermal «Oscar»-nominiert und einmal -gekrönt wurde) würdiger ist der Thriller «The Debt» (2010) von John Madden. In diesem Remake eines israelischen Originals von 2007 verkörpert sie zwar auch eine ehemalige Agentin, aber Rachel Singer steht nicht ironisch-souverän über der Sache. Vielmehr hat ihr jüngeres Ich (gekonnt verkörpert von Jessica Chastain) vor 30 Jahren an einer Mossad-Operation zur Ergreifung eines ehemaligen KZ-Arztes teilgenommen, und dabei ist einiges schiefgelaufen, was aber nur die Agenten selbst wissen.

Rachel wird heute als Heldin gefeiert, vor allem auch von ihrer Tochter, die ein Buch über sie geschrieben hat. Aber die Vergangenheit ist nicht tot, und so muss Rachel widerwillig noch einmal ausrücken, um der Gerechtigkeit zum Sieg zu verhelfen. Rachels Verschlossenheit, ihre Verletzlichkeit und letztendlich ihre Willensstärke drückt Mirren mit einem Minimum an Dialogen aus, aber ihr Körper und ihr Gesicht sprechen Bände: eine Masterclass in Sachen Schauspielkunst.

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