SRF: Sie haben insgesamt sieben Jahre lang recherchiert, gedreht und geschnitten. Jetzt war am Dokumentarfilmfestival in Thessaloniki die Weltpremiere. Wie war es, loszulassen?
Stella Nikoletta Drossa: In einem Wort: befreiend. Es war ein tolles Gefühl das erste Mal nach so vielen Jahren ohne Kamera im Gepäck nach Griechenland zu fliegen und meine Protagonistinnen nur noch privat zu treffen. Ohne im Hintergrund zu denken, diese oder jene Aussage könnte interessant für den Film sein.
Sie sind Griechin, aber in Deutschland geboren und aufgewachsen. Was hat sie dazu bewegt, in die Heimat ihrer Eltern zu reisen, um diesen Film zu drehen?
Ich bin mit dem Gefühl aufgewachsen, dass Griechenland meine Heimat ist. In Deutschland war ich ja auch immer «die Griechin».
Dann kam es 2008 und 2009 auf einmal zu diesen Massenprotesten. Ich wollte verstehen, was diese Krise ist und woher sie kommt.
Der Staat verlangt dem Bürger sehr viel ab.
Während der Dreharbeiten bin ich bei den persönlichen Geschichten angekommen meiner Protagonistinnen, die für mich im Kleinen das Grosse und Ganze erzählen. Die Frage, um die der Film kreist, ist im Endeffekt, wie tief die Auswirkungen von politischen Entscheidungen in das Leben von Menschen eingreifen.
War der Film als psychologische Langzeitanalyse angelegt?
Überhaupt nicht. Es sollte eine Kurzdokumentation werden. Ich habe sehr weitflächig recherchiert. Insgesamt hatte ich 170 Stunden Material.
Wie schwer fiel der Schnitt?
Es war sehr hart zu sagen: Das ist jetzt unsere finale Fassung. Diese Endgültigkeit fiel mir sehr schwer, da ich ja vorher die Erfahrung gemacht hatte, dass alles ein Prozess ist und sich kontinuierlich verändert.
Trailer
Plötzlich musste ich entscheiden, hier hört unsere Erzählung auf und wir erzählen sie auf diese und diese Art und Weise.
Haben Sie das Land während der Dreharbeiten anders kennengelernt?
Ja. Das habe ich. Vor allem auch die Schattenseiten.
Und die wären?
Bürokratie, mangelnde Organisation. Der Staat verlangt dem Bürger sehr viel ab. Jetzt, im Zuge der Zuspitzung der Krise werden ausserdem alle unter Generalverdacht gestellt, dass sie zum Beispiel Steuern hinterziehen.
Der Film fragt nach Entscheidungen, die man im Leben trifft und wie man schlussendlich mit den Konsequenzen umgeht.
Wenn man selbständig ist und kein Einkommen hat, wird man trotzdem am höchsten besteuert, weil sie davon ausgehen, dass man irgendwo Geld hat. Hinzukommt die katastrophale Situation im Gesundheitswesen, die im Film auch eine Rolle spielt.
In Deutschland, wo sie leben, gab es in den letzten Jahren viel anti-griechische Stimmung. Mussten Sie sich in Berlin für ihre Landsleute rechtfertigen?
Ja, oft. Aber ich glaube, dass es immer mehr Menschen in Deutschland gibt, die verstehen, dass es wohl nicht um eine «Rettung» Griechenlands geht.
In ihrem Film geht es um fünf Frauen. Welche krisenbedingten Konflikte teilen sie und was unterscheidet sie?
Gemein war allen die Frage, ob sie hier in Griechenland eigentlich bleiben können. Kann das der Ort sein, wo ich lebe, arbeite und eine Familie gründe? Unterschiedlich sind sie in ihrem Umgang mit der Frage.
Der Film fragt nach Entscheidungen, die man im Leben trifft und wie man schlussendlich mit den Konsequenzen umgeht. Im Endeffekt ist es ein sehr persönlicher Einblick in die griechische Mittelklasse und ihr Leben in der Krise.
Für mich ist das ein zentrales Thema, das in den Medien leider nur wenig Aufmerksamkeit erfährt.
Das Gespräch führte Florian Schmitz.
Sendung: Kultur Kompakt, Radio SRF 2 Kultur, 10.3.17, 12.03 Uhr