Den Einstieg in «Passion» macht die erste Zeile aus Bertolt Brechts Gedicht «An die Nachgeborenen»: «Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten!» Brecht wird am Ende den Film wieder schliessen.
Im Off-Kommentar erinnert sich Christian Labhart an seine eigenen Entwicklungstationen: 1968, die Aufbruchstimmung, die Demonstrationen, den Kampf gegen die AKWs, für ein AJZ, den RAF-Terrorismus.
Labharts Biografie als engagierter Junglehrer, als Teil einer idealistischen Bauernhof-Gemeinschaft mit Gleichgesinnten und ohne Chef, das Scheitern, die Familie, die Kinder, das Einfamilienhaus, das alles kommt fast beiläufig, bescheiden. Und irgendwann die Frage: Bin ich ein Spiesser geworden?
Symbolträchtige Tableaus
50 Jahre Gesellschaftsgeschichte in 80 Minuten: Labhart setzt vor allem auf die Kraft der Bilder, die er mit dem unterdessen verstorbenen Pio Corradi und Simon Guy Fässler aus allen möglichen Ecken der Welt geholt hat.
Beeindruckt hat Labhart auch Godfrey Reggios «Koyaanisqatsi» von 1982. Dieser auf Überwältigung setzende Film wurde zu einem Schlüsselwerk der weltweiten Öko-Bewegungen. «Koyaanisqatsi» ist aber auch Steinbruch der filmischen Werbeästhetik im Dienste aller Konsumprodukte.
In Labharts «Passion» zeigen grossartige Tableaus die Absurdität eines auf Konsum und Spektakel ausgerichteten Lebens. Fantastische Ausblicke auf zerfallende Monumente des Kommunismus in Bulgarien stehen für den Niedergang der Hoffnung. Zerbrechende Eismassen verweisen auf die Zerstörung der Welt.
Perfekte Matthäus-Passion
Immer, wenn die Hoffnungslosigkeit augenfällig ist, folgt der Schnitt auf eine konzertante Aufführung von Bachs «Matthäus-Passion», in Schwarz-Weiss, mit klaren Tönen, hellen Stimmen, einer perfekten Ordnung.
Das Problem von Labharts «Passion» liegt nur zum Teil in der Wiedererkennbarkeit eines Teils der Tableaus. Das Problem ist Labharts Zurückhaltung.
Ob aus Bescheidenheit, Feigheit, Kalkül oder aus deutschschweizerischer «Selbstverzwergung» heraus: Labhart streift seine Biografie meist nur beiläufig. Dafür holt er mit Gusto seine Lieblingsbücher aus dem Regal und lässt neben Brecht auch Kafka, Dorothee Sölle, Slavoj Žižek oder Ulrike Meinhof ihre Positionen wiederholen.
Das macht «Passion» zu einem stellenweise absehbaren Kompendium, vor allem, wenn dann auch noch die rauchenden Zwillingstürme oder der feixende Donald Trump gezeigt werden.
Ein Filmemacher, der sich versteckt
Dass ein Filmemacher grossartige Bilder sucht, mag man ihm nicht ankreiden. Dass er sich hinter ihnen und seiner Wechseldramaturgie aber wegduckt, ist schade.
Anstelle der wohlbekannten Wegmarken der Globalisierung bräuchten wir gerade die Einzigartigkeit einer Biografie, die der unseren ähnlich ist: Woran scheiterte die Bauernhof-Utopie der Freunde? Wie kam es zur Kleinfamilie mit Kindern im Einfamilienhaus?
Hinter den gewaltigen Bildern von Labharts Film stecken viel Arbeit und professionelles Können. Aber auch ein Filmemacher, der sich nicht über anerkannte Erkenntnisse hinaus aussetzt.
Kinostart: 18. April, ab 11. April Lunchkino