Muna will ein selbstbestimmtes Leben führen. In ihrer patriarchalen Heimat ist das unmöglich: Das Königreich Saudi-Arabien zählt zu den konservativsten Staaten der Welt.
Frauen haben im wahhabitischen Wüstenstaat nach wie vor nichts zu melden. Aus juristischer Sicht sind sie im wahrsten Sinne des Wortes unmündig. Bei den wirklich wichtigen Fragen entscheidet nie die Frau selbst, sondern ihr männlicher Vormund, meist der Vater oder der Gatte.
Wenn eine erwachsene Frau beispielsweise einen Reisepass beantragen will, ist sie stets auf den Goodwill eines Mannes angewiesen. Von dieser totalen Abhängigkeit hat Muna genug. Sie plant im Geheimen ihre Flucht und beginnt sich in einer Chat-Group mit Gleichgesinnten auszutauschen.
Kämpferin gegen staatliche Repression
Hier kommt die 1977 in Deutschland geborene Zürcherin Susanne Meures ins Spiel. Nach dem internationalen Erfolg ihrer ersten Doku hält die Regisseurin Ausschau nach einer Protagonistin für ihren neuen Film. Sie formuliert einen unmissverständlichen Aufruf, lässt diesen ins Arabische übersetzen und in der genannten Chat-Group platzieren.
Über ihre Absichten macht die Regisseurin nie einen Hehl, wie sie betont: «Ich habe ganz klar Frauen gesucht, die in naher Zukunft versuchen, das Land zu verlassen. Und die gewillt wären, sich dabei zu filmen.»
Die Unterdrückung persönlicher Freiheiten ist so etwas wie Meures’ Lieblingsfeind. Mit «Raving Iran» hatte sie schon 2016 Partei für zwei junge Musiker ergriffen, die sich an den rigiden Gesetzen des Gottesstaats aufgerieben hatten.
Indem Meures mit «Saudi Runaway» nun Munas Fluchtgeschichte erzählt, bricht sie eine Lanze für alle freiheitsliebenden Frauen.
Alltägliche Horrorstorys aus 1001 Nacht
Muna ist kein Einzelfall. Zirka 1000 Frauen flüchten jedes Jahr aus dem erzkonservativen Königreich. Fragt man die Emigrantinnen nach ihren Beweggründen, berichten diese oft von traumatischen Erfahrungen: Freiheitsentzug, häusliche Gewalt und sexueller Missbrauch.
Der Protagonistin von «Saudi Runaway» ist primär die Vorstellung zuwider, ein Leben mit einem Mann zu führen, den sie nicht selbst ausgewählt hat. Muna wählt darum das einzige, winzige Fluchtfenster, das ihr offensteht: die Flitterwochen.
Der Zeitdruck, der daraus resultiert, macht das Ganze spannend wie ein Thriller. Auch für Susanne Meures, die das Drama damals aus der Ferne mitverfolgte: «Wir hatten genau fünf Wochen bis zur Hochzeit. Und sie hätte sich bis zur letzten Sekunde umentscheiden können. Sie war auch wirklich unentschlossen, bis fünf Minuten vor ihrer Abreise.»
Uploads und Feedbacks
Vieles befand sich ausserhalb von Susanne Meures’ Einflussbereich. Tag für Tag wartete sie in der Schweiz darauf, dass Muna neue Videos hochlädt. Aus diesen Alltagsfetzen einen Kinofilm zu basteln, war freilich nicht einfach. Vor allem, weil Meures die Doku auf keinen Fall mit einer erklärenden Kommentarstimme entstellen wollte.
Um trotzdem die Bilder zu kriegen, die ihr vorschwebten, animierte Meures Munas Vorstellungsvermögen. Wie sie das tat? Die Zürcherin verrät: «Ich habe zum Beispiel gefragt: Hey, wenn du sagst, dass dein Haus ein Gefängnis für dich ist: Wie könntest du das in Bildern beschreiben?»
Das Ergebnis ist ein erstaunlich runder Film, der trotz Hollywood-Dramaturgie nie seinen gesellschaftskritischen Fokus verliert. Und der mit seinem politischen Impetus geradezu musterhaft zur Berlinale passt.
Sendung: Tagesschau vom 24.2.2020, 19:30 Uhr