Cannes, vor 20 Jahren: Jungfilmer Quentin Tarantino gewinnt mit «Pulp Fiction» die Goldene Palme, den wichtigsten Festivalpreis der Welt. Die Krönung einer typisch amerikanischen Aufsteiger-Story: Der Nerd aus der Videothek ist im Film-Olymp angekommen. Die Kritiker feiern Tarantinos erzählerische Kreativität, die Zuschauer seine Liebe zur Popkultur. «Pulp Fiction» wird in Windeseile zum Kultfilm der 90er-Jahre. Weltweit spielt er über 214 Millionen Dollar ein und ist damit der mit Abstand erfolgreichste Independent-Film seiner Zeit.
Tarantinos Name ist eine Marke
Cannes, vor wenigen Wochen: Quentin Tarantino kehrt zum 20. Jubiläum von «Pulp Fiction» auf die Croisette zurück. Obwohl sich das Festival dem Ende zuneigt, platzt die Pressekonferenz aus allen Nähten. Schliesslich ist Tarantino inzwischen ein Regie-Star, sein Stil legendär, sein Name eine Marke. Warum er eine Schwäche für Gauner und andere zwielichtige Gestalten habe, will ein Journalist wissen. Mit seiner Antwort unterstreicht Tarantino den filmhistorischen Kontext, in dem sein Gangsterfilm entstand: «Pulp Fiction» war seine künstlerische Reaktion auf das schematische Hollywood-Kino der 80er-Jahre.
Coole Killer statt blasse Saubermänner
Für den Cineasten Quentin Tarantino waren die 80er-Jahre eine besonders prägende Zeit. Damals reifte in ihm nämlich der Wunsch, Filmemacher zu werden. Getragen von der festen Überzeugung, dass das Kino spannendere Leinwandhelden als Hollywoods nette Langweiler verdient habe.
Das Mantra der Hollywood-Produzenten in den 80ern lautete: Filmhelden müssen nett und liebenswert sein. Tarantino-Figuren verkörpern eher das Gegenteil. Seine Helden sind Gangster, Rächer und andere Schattengestalten, die viel über Alltägliches quasseln. Ihr steter Redefluss macht sie einerseits menschlich und sorgt andererseits für Komik. Die fehlbaren Killer von nebenan sozusagen.
Kino-Kunst aus Fundstücken der Trivialkultur
Die Inspiration zu «Pulp Fiction» holte sich Tarantino in erster Linie von amerikanischen Groschenromanen der 30er- und 40er-Jahre. Der Autorenfilmer hat eine Vorliebe für das Populäre und Billige als Basis seiner raffinierten Erzählkunst. Diese Haltung ist typisch für die Postmoderne, in der die Werke der Hoch- und Unterhaltungskultur als gleichrangig gelten.
In der berühmten Tanzszene in «Pulp Fiction» sind beispielsweise gleich drei Anspielungen auszumachen – mindestens: John Travolta weckt auf dem Parkett sofort Assoziationen zum Disco-Hit «Saturday Night Fever» (1977), während Uma Thurmans katzenhafte Bewegungen an den Trickfilm «The Aristocats» (1970) erinnern. Genauso gut funktioniert die Szene als Hommage an Jean-Luc Godards Nouvelle-Vague-Klassiker «Bande à part» (1964).
Ein anspielungs- und einflussreicher Filmschatz
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Dank Tarantino gehört das Zitieren von Populärkultur im Kino mittlerweile zum guten Ton. Und kaum ein Film wird häufiger zitiert als «Pulp Fiction». Die Gangsterfilm-Hommage ist längst selbst eine Ikone der Massenkultur. Nachhaltig verändert hat sich auch das Figurenspektrum. Seit dem Erfolg von Tarantinos ambivalenten Helden ist es deutlich breiter geworden.
Davon profitieren vor allem die Schauspieler. Keiner weiss das besser als John Travolta. Vor «Pulp Fiction» hatte den einstigen Disco-Helden niemand mehr ernst genommen. Mangels guter Rollenangebote war er nur noch in seichten Komödien aufgetreten. Erst Tarantinos Geniestreich hat ihn zurück in Hollywoods A-Liga katapultiert.