Leipzig, kurz nach der Wende: Fünf wilde junge Männer träumen von der Zukunft. Immer wieder blendet der Film zurück in ihre frühere Freundschaft, ihre Tage als Primarschüler und Jungpioniere in der DDR.
Teeniefutter mit grossem Nährwert
«Als wir träumten» ist die fünfte offizielle Zusammenarbeit des Regisseurs Andreas Dresen («Sommer vorm Balkon») und seines 84-jährigen Drehbuchautors Wolfgang Kohlhaase. In die 117 Filmminuten ihres neusten Werks packen Dresen/Kohlhaase mehr jugendlichen Ungestüm, Power, Hoffnung und Abgeklärtheit, als Hollywoods Teeniefuttermaschine in den Produktionen eines ganzen Jahres unterbringt.
Dem Film liegt Clemens Meyers gleichnamiger Erstling von 2006 zugrunde. Der Titel kommt allerdings erst kurz vor dem Abspann auf die Leinwand. Vorher sind leinwandfüllende Zwischentitel die Kapitelmarken, die durch den Film führen. Die Geschichte bewegt sich über drei Zeitebenen mit den entsprechenden jungen, sehr jungen und kindlichen Darstellern für die wichtigsten Rollen.
Fünf junge Männer versauen sich ihre Zukunft
Beiträge zum Thema
Dani, Rico, Mark (gespielt vom Schweizer Jungtalent Joel Basman), Paul und Pitbull gehen zusammen durch dick und dünn. Sie klauen Autos, dröhnen durch die Nacht, prügeln sich mit einer Glatzen-Gang, gründen eine Underground-Disco, schleppen aber auch mal Kohle für eine halbblinde Oma die Treppe hoch.
Dani verguckt sich sehr früh in Sternchen, «das schönste Mädchen von Leipzig». Aber Sternchen versaut sich ihre Zukunft leider noch schneller und gründlicher als die Jungs, die damit auch nicht allzu lange zuwarten. Rico will Boxer werden und verliert trotz Talent alle entscheidenden Kämpfe. Mark stürzt ab und verliert sich in den Drogen.
Mittendrin im jugendlichen Rausch
«Als wir träumten» ist kein Feelgood-Movie. Trotzdem entlässt der Film einen fast glücklich erschüttert in den Alltag. Das liegt nicht zuletzt daran, dass er ungeschönt, fast dokumentarisch, funktioniert. Trotzdem überträgt er in fast jeder Sekunde eine explosive Energie. Zum Beispiel, wenn die völlig entfesselten Jungen in einem geklauten Auto durch Leipzigs Strassen röhren. Sie sind unverwundbar, unantastbar, Könige ihrer eigenen Nacht.
Letztlich schlagen sie in einer besoffenen Zerstörungsorgie nicht nur das Auto, sondern auch gleich die nähere Umgebung kurz und klein. Auf den Zuschauer wirkt das Ganze realistisch, blödsinnig, aufregend, nachvollziehbar.
Der Film lebt nicht zuletzt vom Kontrast zwischen der verlogenen solidarischen Thälmann-DDR und dem Brutalokapitalismus im Nachwende-Leipzig. Die erste Ideologie wird den Jungpionieren in der Schule eingehämmert. Die zweite wird besonders spürbar, als der Reviergangster Kehlmann, der keine Konkurrenz duldet, die Disco der Jungs zertrümmern lässt.
Dieser Film ist ein einziger Sog
Obwohl der Film einen Zeitraum von mehr als fünf Jahren überspannt, fliesst er schon kurz nach Verlassen des Kinos in einen einzigen grossen und grossartigen Sog zusammen.
Buch und Musik, die Leistung der jungen Schauspieler, das Tempo und der Schnitt, vor allem aber der perfekte Rhythmus in der Abfolge von Nachdenklichkeit und Explosivität putschen einen richtiggehend auf, lassen die Erinnerungen an die eigene Jugend aufkommen und stellen sie gleich auch wieder in Frage.
«Als wir träumten» feiert nicht die (geplatzten) Träume der Jungen, sondern ihre Fähigkeit, mitten im Leben von noch mehr Leben zu träumen.