Halbtotale. Eine junge Frau liegt auf dem Bett. Totenstille. Die Hand bewegt sich. Langsam. Ihre Hand liegt auf ihrem Geschlechtsteil. Bewegt sich schneller. Die Szene dauert ewig, finde ich. Immer noch keine Musik. Kein erregtes Atmen. Nichts. Ich warte. Auf den Höhepunkt. Er kommt nicht. Stattdessen: Schnitt. Die junge Frau steht jetzt in der Küche und schält Melonen.
Es ist rund eine Viertelstunde vorbei. Ich schaue mir «Señoritas» an. Ein Jugendfilm über eine junge Frau kurz vor dem Erwachsenwerden. Ich merke, wie ich teilweise nicht mehr richtig zuhöre. Die Szenen sind oft lang und auf den ersten Blick belanglos. Doch immer wieder erinnern mich Szenen an meine eigene Jugend: Party mit Jungs. Flirten. Sich schön machen vor dem Spiegel.
Am internationalen Filmfestival in Fribourg – hier läuft der Film in der Kategorie «Terra Erotica I» – treffe ich die kolumbianische Regisseurin Lina Rodriguez zum Interview.
«Nie über Selbstbefriedigung gesprochen.»
Kolumbien ist ein katholisches Land mit einem patriarchalischen Gesellschaftssystem. Beides lässt eine offene, unverkrampfte Diskussion über Sex und Erotik nicht zu. Im Macholand ist die Frau Objekt: Sex-Objekt. Erotik-Objekt. Männer-Objekt. Nicht so im Erstlingswerk von Lina Rodriguez. Bei ihr steht die Frau im Zentrum. Ihre Wünsche. Ihre Befriedigung. Ihre Grenzen.
Während dem Gespräch verrät mir die 35-jährige Regisseurin, dass sie als Teenagerin mit ihren Freundinnen nicht über Selbstbefriedigung oder Sex sprechen konnte. Das war tabu. Mit ihrem Film will sie diese Tabus aufbrechen. «Es muss nicht hinter jeder Szene eine Absicht stecken. Ich spiele gerne mit der Zeit und Länge der Szenen. Mich interessiert, was vor und nach dem Herzstück der Szene geschieht.»
Alejandra sagt, wie weit
Die Grenzen ausloten, das interessiert sie. Und das macht auch ihre Protagonistin Alejandra: sie lässt sich mit Jungs ein. Sie flirtet mit ihnen. Sie spielt mit ihnen. Zum Beispiel im Auto. Alejandra knutscht mit einem Jungen rum. Er will mehr. Ich erwarte, dass sie nachgibt (weil das ja in Filmen oft so ist). Aber sie sagt Stopp. Sie geht nur so weit, wie sie will. Sie ist kein Objekt, keine dumme Blondine, die sich dem «Bachelor» im Whirlpool an den Hals wirft. Der Film, ein klares Statement in der heutigen pornografisierten Gesellschaft, in der die Frauen immer willig und sexgeil dargestellt werden.
Am Schluss des Interviews sagt meine Kameradame auf Englisch: «Sehr spannend, was ihr gesprochen habt. Ich habe zwar fast nichts verstanden (wir haben das Interview auf Spanisch geführt), aber gewisse Begriffe sind ja international.» «Masturbation, zum Beispiel», sagt die selbstsichere Regisseurin, ebenfalls auf Englisch, und lacht.