Matsumi, Mayumi und Masumi beten um Muscheln, Abalone und Seeigel, um Schutz vor Unfällen. Sie sind Mütter oder Grossmütter, leben in einem traditionellen Fischerdorf auf der japanischen Halbinsel Izu. Sie sind Ama-san, Frauen des Meeres.
Die drei Frauen aus dem kleinen Fischerdorf üben einen Beruf aus, der sich über zweitausend Jahre hinweg kaum verändert hat. Zwar tauchen sie nicht mehr nackt, wie einst ihre Grossmütter, sondern in Neoprenanzügen – aber noch immer ohne Sauerstofftank, mit kunstvoll gewickelten Kopftüchern und mit extremer Ausdauer.
James Bond und die Ama-san
Die Ama-san üben einen in ganz Japan bekannten und geachteten Beruf aus, um den sich auch Legenden ranken. Das hat natürlich mit dem Nackttauchen zu tun, das einst auch frühe Japantouristen unendlich fasziniert hat, mit der inhärenten Erotik, welche Künstler und Fotografen inspirierte.
James-Bond-Autor Ian Fleming hat den Ama-san ein etwas zwiespältiges Denkmal gesetzt im letzten noch zu seinen Lebzeiten publizierten Bond-Roman «You Only Live Twice». Bond trinkt zu viel, wird depressiv und verfällt schliesslich gar einer temporären Amnesie, die ihn dazu bringt, als Fischer mit einer Ama-san zu leben.
Wieso tauchen Frauen, nicht Männer?
Warum es seit 2000 Jahren die Frauen sind, welche diese Küstenjagd auf Muscheln und Seeigel betreiben, dazu gibt es etliche Theorien. Eine der wilderen behauptet, das stärker ausgeprägte Fettgewebe schütze weibliche Körper besser vor der Kälte des Wassers.
Vadim Jendreyko, der Schweizer Koproduzent des Dokumentarfilms «Ama-san», hat allerdings eine einfachere und daher auch einleuchtendere Erklärung: Die Fischer seien oft tagelang auf See geblieben, während die Frauen sich an Land um die Familie kümmerten und sich mit dem Freitauchen in Küstennähe eine zusätzliche Verdienstquelle eröffneten – vergleichbar etwa mit dem Sammeln von Pilzen.
Zurückhaltend und konzentriert
Die portugiesische Dokumentarfilmerin und Fotografin Cláudia Varejão filmt ihre heutigen Ama-san zurückhaltend und konzentriert. Matsumi, Mayumi und Masumi stehen im Zentrum des Films, Männer kommen nur am Rande vor, die Frauen organisieren ihren Beruf und sorgen für ihre Familien mit absoluter Selbstverständlichkeit.
Der Schweizer Filmemacher und Produzent Vadim Jendreyko lernte Cláudia Varejão und ihr Projekt am Dokumentarfilmfestival in Nyon kennen und sagte dem portugiesischen Produzenten aus purer Begeisterung seine Unterstützung zu. Für einen Film, von dem er wusste, dass er ohne den geringsten Schweiz-Bezug hierzulande eigentlich keine Förderchancen hatte. Dank des überzeugenden Konzepts, faszinierender Aufnahmen und eines letztlich sehr moderaten Budgets konnte Jendreyko eine Schweizer Stiftung und die Fernsehredaktion SRF als Partner gewinnen.
Leise Antworten auf ungestellte Fragen
Faszinierend am Filmkonzept war und ist nicht nur der Fokus auf den Alltag der Taucherinnen, sondern gerade auch der ruhige Stolz, das Traditionsbewusstsein und die damit einhergehende Selbstverständlichkeit der Souveränität der Taucherinnen innerhalb der ansonsten noch immer sehr männerdominierten japanischen Gesellschaft. Mithin ein Blick auf Japan, der leise und unaufgeregt eindeutige Antworten auf ungestellte Fragen liefert.
Dabei entpuppte es sich sogar als Vorteil, dass die portugiesische Regisseurin kein Japanisch spricht. Sie konnte auch in ruhigen und sehr persönlichen Momenten dabei sein, etwa dann, wenn sich die Frauen nach dem harten Tauchgang waschen, sich am Feuer entspannen und dabei ganz persönlich plaudern. Weil die Filmemacherin nichts verstehen konnte, war ihre Präsenz und die der Kamera leicht zu vergessen und jedenfalls extrem unaufdringlich.
Dabei ist die ruhige Beobachtung nur eine der vielen Stärken von «Ama-san». Der Dokumentarfilm nimmt einen fast unmerklich gefangen, die Schönheit der Tauchgänge mischt sich mit den Gesichtern der Frauen und einem Alltag zwischen Mühsal und Befriedigung, der mit seiner Selbstverständlichkeit beeindruckt.
Sendungshinweis: Radio SRF 2 Kultur, Kino im Kopf, 18. Juni 2016, 8.30 Uhr