Mia heult. Sie ist 16 und am Ende: Ein Junge hat sie ausgenutzt, verraten und fallen lassen. Ihre Schwester Laura ist zwei Jahre älter und hat Mias Erfahrungen längst hinter sich. Laura kennt die Männer und sie hat ihre eigenen Spielregeln: Gib keinem je Macht über Dich. Darum schlägt sie Mia ein grausames Spiel vor: Sie soll sich via Internet einen verwundbaren Loser suchen, ihn verliebt machen und dann ebenso eiskalt abservieren, wie sie selber verraten wurde.
Schmerz mit Schmerz bekämpfen
Bei Peter Luisi werden die Beziehungstherapien von Film zu Film drastischer. In «Verflixt verliebt» (2004) genügt noch das Filmhandwerk als Illusionsmaschine zum Steuern der Wirklichkeit, in «Love Made Easy» (2006) braucht es schon eine resolute Melanie Winiger als Therapeutin. In «Der Sandmann» (2011) muss sich ein langsam zerrieselnder Mann ausgerechnet jener Frau anvertrauen, die er von Herzen hasst. Und nun soll Lauras krude Therapie den Schmerz ihrer Schwester ausgerechnet mit dem Verursachen von Schmerz bekämpfen.
Grosse Gefühle
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Mit «Der Sandmann» hat Peter Luisi sein Faible für gute Geschichten mit skurrilen Kurven eindrücklich gezeigt. Jetzt wendet sich der 37-Jährige den Teenagern zu – nicht, weil er da ein grosses Zuschauerpotential wittert (der Flop von Michael Steiners «Missen Massaker» hat gezeigt, dass auch nachvollziehbares Kalkül auf dem Schweizer Kinomarkt eine Lotterie bleibt) – sondern aus dem einfachen Grund, dass die grossen Gefühle, die das Kino so schön transportiert, bei niemandem grösser sind, als bei einem 16jährigen Mädchen.
Keine fixe Perspektive
Mias Liebe ist so unendlich wie der kalte Hass ihrer Schwester. Und schon haben wir die Absolutheit eines Märchens. Das ist natürlich eine ideale Grundlage für ein Drehbuch, zumal sich Luisi nicht scheut, den simplen Plot mit dramaturgischen Mitteln gehörig aufzupeppen. Das designierte Opfer Timo, der Junge, der selber noch seine Wunden leckt, und von den Schwestern in die Zange genommen wird, wird von drei verschiedenen Darstellern verkörpert. Das sorgt einerseits für genügend Verwirrung beim Publikum, so dass man den Verstand nie abschaltet. Und andererseits für ein ausbalanciertes System von sich überlagernden Rückblenden und Erzählsträngen, so, dass nie eine fixe Perspektive aufkommt.
Intellektueller Film für Teenager
Peter Luisi nennt das verschmitzt einen «intellektuellen Film für Teenager» und weist auch gleich darauf hin, dass viele das für einen Widerspruch in sich selber halten mögen. Allerdings sehr zu Unrecht, wie der Film beweist. Denn trotz seiner Verspieltheit wird der Film nie zum Traktat, verlässt nie seinen durchaus melodramatischen Fluss, ausser am Ende, das in seiner Mehrdeutigkeit nichts an Eindeutigkeit vermissen lässt.
Schauspielerinnen halten Spannung
Die jungen Darsteller sind hinreissend. Sie sind alle alleine durch ihr Alter und ihre Ausstrahlung glaubhaft und überzeugend. Und zugleich alle noch nicht so professionell, dass sie mit ihrem Spiel die filmische Konstruktion sterilisieren könnten. Aus erwachsener Perspektive können Teenager peinlich sein, und rührend und verblüffend zugleich.
Joëlle Witschi als Mia, mit Zahnspange, kindlich trotziger Ausstrahlung und dann auch gleich wieder sprühend von Enthusiasmus, wirkt wunderbar direkt. Damit Schmerz und Trauer und absolute Verwundung auf Erwachsene nicht komisch wirken, braucht es viel Instinkt bei der Darstellerin und ein grosses Geschick bei der Regie.
Und auch Deleila Piasko als 18jährige Laura kann die Spannung auf der Leinwand halten. Die Balance zwischen fröhlichem Vamp und verwundeter Mädchenseele kippt zwar hin und wieder auf die eine oder andere Seite, aber das liegt eher an der Dramaturgie und der Notwendigkeit, einzelne Sequenzen subjektiv aufzuladen, als an Inkonsistenz in ihrem Spiel.
Und die drei Timo-Darsteller schliesslich, Peter Girsberger, Rafael Mörgeli und Nicola Perot, schaffen es, der Figur jeweils individuelle Züge zu geben, obwohl (oder vielleicht weil) sie beim Dreh wohl noch keine Ahnung hatten, wie und wo sie in der Endmontage schliesslich auftauchen würden.
Geglückter filmischer Versuch
Obwohl «Boys Are Us» beim ersten Sehen relativ komplex wirkt, ist das im Rückblick gesehen ein sehr einfacher Film mit einer geradezu linearen Erzählform. Das hat auch damit zu tun, dass die Schlusssequenzen eine recht einfache, wenn auch durchaus ansprechende Blüte treiben. Der eine oder die andere mag sich während des Abspanns fragen, ob der erzählerische Aufwand das Fazit lohne. Aber darin besteht gerade der Charme dieses geglückten filmischen Versuchs: Wer für die schwärmerische Absolutheit junger Liebe nur noch ein Achselzucken und allenfalls ein wehmütiges Lächeln aufbringt, tappt hier überraschend in die Falle.
Das Leben ist manchmal ganz einfach, und wir komplizieren es dann, um es besser auszuhalten. Dass man nach diesem Grundsatz auch Filme machen kann, wussten wir schon lange. Auch wenn das Unterhaltungskino meist auf die Umkehrung der Formel setzt. Peter Luisi hat sie mal wieder auf die Füsse gestellt.