SRF: In «Carol» geht es um eine lesbische Beziehung in den 1950er–Jahren, aber indirekt auch um die passende filmische Repräsentation einer solchen Beziehung. Mit welchen stilistischen Überlegungen sind Sie an den Film herangegangen?
Todd Haynes: Ich habe mit «Far From Heaven» schon einmal einen Film gedreht, der in den 1950ern spielte, damals inspiriert von Douglas-Sirk-Melodramen. Für «Carol» hingegen konsultierten wir dokumentarisches Fotomaterial. Und wir entdeckten eine überraschend verstörte Epoche. Die Nachkriegszeit war unverdaut, das Ideal einer friedlichen Vorstadt-Gesellschaft noch fern. Diese Übergangszeit definierte den grobkörnigen Look von «Carol», das Interesse an Rauch, an Fenstern und Spiegelungen. Es sind gefilterte Blicke darauf, was die beiden Frauen empfinden.
Dieses ernüchterte Nachkriegs-Amerika kennt man aus den aggressiven Schwarz-Weiss-Thrillern des «Film Noir» aus dieser Zeit. Aber diesen Weg sind Sie ästhetisch nicht gegangen.
Bewusst nicht. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass sich Klaustrophobie besser darstellen lässt als eben wie bei Douglas Sirk: in künstlichen Farben, in häuslichen Dekors. Gerade weil diese perfekten Welten so unberührt sind von menschlicher Unordnung, wirken sie unterdrückend. Hinterfragt wird ein bürgerliches Ideal, während der Film Noir eher grossstädtische Unordnung auf eine schon fast romantische Weise schildert. Darum ging es uns nicht.
Ihre Heldinnen brechen jedoch aus dieser Häuslichkeit aus und finden sich auf der Strasse wieder.
Deshalb habe ich auch eine etwas beschmutzt wirkende Farbpalette gewählt, schon für die Innenräume von Carols teurem Zuhause. Und ja, die beiden sind dann unterwegs vorübergehend glücklich. Aber man spürt als Zuschauer, dass diese Freiheit nicht andauern wird.
Und dennoch gibt es romantische Momente, in denen sich die beiden Frauen schrittweise ineinander verlieben. Wie haben sie diese Leidenschaft eingefangen?
Mit Details. Im Roman erfährt man, wie die junge Therese anhand von kleinsten Signalen zu deuten versucht, ob Carol ihre Gefühle erwidert. Carol sitzt anscheinend am längeren Hebel – sie ist älter, reicher, erfahrener. Und so fiel mir bei der Lektüre auf, dass die meisten Liebesgeschichten aus der Sicht der schwächeren Person erzählt werden. Wohl, weil es uns daran erinnert, wie machtlos man ist, wenn man sich zum ersten Mal verliebt.
Dabei bleibt es aber nicht. Therese gewinnt an Selbstvertrauen, während Carol zunehmend verunsichert wirkt. Für Sie ein Anreiz, die Perspektive aufzubrechen?
Richtig. Im Gegensatz zu einem Roman, der aus der Ich-Perspektive erzählt wird, kann man in einem Film den Fokus verlagern. Ausgehend von der neu verteilten Verletzlichkeit wollten wir die Sichtweise anpassen: Therese ist eingangs eine ungeformte Kreatur, die Carol restlos erliegt, was diese abblockt: Sie ist Ehefrau und Mutter. Doch irgendwann wägt Carol die Situation neu ab und erwidert die Zuneigung – wodurch sie angreifbarer wird als Therese.
Dafür mussten ihre beiden Darstellerinnen viele Gefühle nur mit ausgetauschten Blicken ausdrücken. Wie haben Sie sie geführt?
Das war nicht nicht so schwierig, ich hatte Rooney Mara und Cate Blanchett! Ich war sehr offen und erklärte ihnen meine Absichten genau. Sie wussten immer, wo die Spannung herkommen sollte und wann ihre charakterlichen Veränderungen einsetzen.
Es war mir übrigens schon auf der Drehbuchstufe wichtig, diese wortkargen Szenen einzubauen. Die Beziehung ist ja eben so zerbrechlich, weil die zwei Angst davor haben, Dinge auszusprechen. Zudem wird das Publikum durch dieses Schweigen dafür sensibilisiert, wie undurchsichtig die Figuren manchmal handeln. Nichts von dem, was sie tun, ist so eindeutig motiviert, wie es zuerst scheint.