Während die USA Krieg gegen Deutschland führten, lief die Traumfabrik Hollywood auf Hochtouren. Die Kämpfe im fernen Europa und im Pazifik erlebten die US-Amerikaner auch auf der Leinwand mit: in Wochenschauen oder Anti-Nazi-Filmen. Auch der Kultstreifen «Casablanca» thematisiert den Kampf Hollywoods gegen den Nationalsozialismus - auf subtilere Weise.
Kaum ein anderer Kinofilm ist so sehr zur Legende geworden wie das Melodram um Liebe, Krieg und Heldentum. Da ist zum einen die anrührende Liebesgeschichte zwischen der schönen Antifaschistin Ilsa Lund (Ingrid Bergman) und dem Barbesitzer Rick Blaine (Humphrey Bogart).
Dabei war das Drehbuch alles andere als eindeutig, wie Schauspielerin Ingrid Bergman rückblickend erzählt. War sie jetzt in den Barbesitzer Rick verliebt - oder doch ihn ihren Leinwand-Ehemann? Bergman zufolge war dies alles andere als klar: «Mir wurde gesagt: ‹Spiel was zwischendrin›».
Doch es war nicht allein die anrührend inszenierte Liebesgeschichte zwischen der schönen Antifaschistin Ilsa Lund (Ingrid Bergman) und dem aufrechten Barbesitzer Rick Blaine (Humphrey Bogart), die dem Film zu seiner Popularität verhalf.
Ein gut kalkulierter Kinostart
Nach seiner Premiere am 26. November 1942 in Manhattan wurde «Casablanca» erst einmal auf Eis gelegt. Ein taktischer Entscheid: Seit längerem schon hatten Hollywood-Filme, die sich gegen das Nazi-Deutschland richteten, Konjunktur - und genau dies wollte sich Warner Brothers zu Nutze machen.
So verlegte die Produktionsfirma den Kinostart auf den Beginn der Konferenz von Casablanca am 14. Januar 1943. Es war jene Konferenz, auf der sich Winston Churchill und US-Präsident Roosevelt darauf verständigten, dass der Krieg nur mit der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands, Italiens und Japans zu Ende gehen könne.
Oscars für Liebesschwüre - und Propaganda
Die PR-Aktion gelang: «Casablanca» hatte beim Publikum einen Riesenerfolg und erhielt 1943 drei Oscars, darunter den für den besten Film. Die Anziehungskraft währt bis heute: 2002 wählte das American Film Institute «Casablanca» auf Platz eins der grössten Liebesfilme - noch vor «Vom Winde verweht» und der «West Side Story».
«Casablanca» jedoch war nicht nur ein Liebes-, sondern auch ein Propagandafilm. Dies ist historisch bedingt: Noch in den 1930er Jahren und selbst nach Beginn des Zweiten Weltkrieges hatten sich die USA für eine Politik des «Sich-Raushaltens» entschieden - nicht zuletzt, um die wirtschaftlichen Beziehungen zum NS-Regime nicht zu gefährden. Für die Bevölkerung galt der Slogan «America first».
Kino mit unterschwelliger Botschaft
In den Dialogszenen von «Casablanca» lässt sich die versteckte Zeitkritik an der US-Politik des «Sich-Heraushaltens» erkennen. Aus der Love-Story wurde ein Propagandafilm: Es darf keine politische Neutralität im Schatten des Krieges geben. Das war die antipazifistische, anti-isolationistische Botschaft an das US-amerikanische Kinopublikum.
Die Liebesgeschichte hatte sich so auf wunderbare Weise mit dem Kriegspatriotismus vermählt. Mittendrin in «Rick's Café Américain»: die Gestrandeten, vor den Häschern der SS geflohen, die kleinen Geschäftemacher, die versprengten Desperados, die Nazis und Mitläufer, Agenten und Widerstandskämpfer.
Bogart als abgeklärter Anti-Held
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Für Humphrey Bogart wurde «Casablanca» zum Höhepunkt seiner Laufbahn: der desillusionierte Abenteurer als Antiheld, zynisch abgeklärt, kein Intellektueller, kein Anführer des Widerstandes. Rick ist ein Mann der Tat. Einer, der souverän genug ist, sich in einer Welt voller Terror und politischer Ungerechtigkeit seine Integrität zu bewahren und der sich mit den Unterdrückten in aller Welt solidarisiert.
Aber der abgeklärte Anti-Held Rick hat auch eine melancholische Seite. Diese zeigt sich etwa dann, wenn er alleine in der Bar sitzt und den Pianisten Sam bittet, für ihn ein Stück zu spielen - jenes Stück, das mit schmerzhaften Erinnerungen verhaftet ist: «As Time Goes By.»
Erotische Leidenschaft und polititsche Vernunft
Zugleich stellt der Film über die Figur des Rick Blaine die patriotische Bestätigung des Hollywood-Helden dar. Denn der Film verbindet auf eigentümliche Weise den Kampf zwischen erotischer Leidenschaft und politischer Vernunft. Am Ende siegt die Feindschaft gegen die Diktatur.
Rick Blaine verzichtet auf die Liebesbeziehung mit Ilsa Lund und entscheidet sich für den Widerstand gegen das NS-Regime. «Die Botschaft des Films war, dass es sich lohn, Opfer zu bringen», sagt der C-Drehbuchautor Howard Koch.
Deutsche Flüchtlinge spielen Nazis
Eine Reihe bekannter deutschsprachiger Schauspieler wirkte in «Casablanca» mit: Peter Lorre («M - eine Stadt sucht einen Mörder») als zwielichtiger Schwarzmarktganove Ugarte. Konrad Veidt («Das Cabinet des Dr. Caligari») mimt den deutschen Major Strasser und Paul Henreid den Widerstandskämpfer Victor Laszlo.
Von den 20 wichtigsten Filmrollen wurden nur vier mit US-Amerikanern besetzt. Gleichwohl spiegelte sich im Casting eine bittere Ironie der Geschichte wider: Die Emigranten aus Europa, die vor den Schergen des NS-Regimes geflohen waren, spielten in Hollywood die Flüchtlinge und SS-Männer aus Deutschland.
Klischees, die uns berühren
Gleichzeitig ist «Casablanca» ein Kinostreifen voller Klischees und Ungereimtheiten. Seine Aura hat das bis heute nicht beschädigen können. Zum Beispiel tragen die begehrten Transitvisa für die Ausreise nach Lissabon die Unterschrift Charles de Gaulles - ausgerechnet des Mannes, der die französische Widerstandsbewegung anführt. Und Victor Laszlo, gerade aus einem Konzentrationslager geflohen, läuft ständig in einem gut gebügelten Tropenanzug der Pariser Haute Couture herum.
«Zwei Klischees empfinden wir als lächerlich, hundert Klischees rühren uns», schreibt der italienische Schriftsteller und Semiotiker Umberto Eco über «Casablanca».
Deutsche Synchronisation verfremdet den Inhalt
1952 gelangte «Casablanca» erstmals in die deutschen Kinos. Allerdings wurde er von 102 auf 82 Minuten gekürzt und durch die Synchronisation bis zur Unkenntlichkeit verfälscht. Alle Hinweise auf den Nationalsozialismus wurden getilgt. Die Figur des Widerstandskämpfers Laszlo hatte man flugs in den norwegischen Atomphysiker Larsen verwandelt, der wegen seiner Erfindung von «Deltastrahlen» verfolgt wird.
Erst 1975 wurde für das deutschsprachige Publikum eine neue und ungekürzte Synchronisation zugänglich. Der Kalte Krieg hatte sich auf seine Weise der NS-Vergangenheit ideologisch bemächtigt. Doch es war der US-Verleih selbst, der jetzt den echten «Casablanca» lancierte. Schliesslich sollte der Film auch in der Nachkriegszeit Kasse machen.