Eine ländliche Gegend im Norden Frankreichs. Der in die Jahre gekommene Landarzt Jean-Pierre Werner (François Cluzet) betreut eine ganze Dorfbevölkerung, macht regelmässig Hausbesuche, diagnostiziert echte und gefühlte Schmerzen, kennt all seine Patienten samt ihren Marotten in- und auswendig.
Der Mann ist allseits beliebt und geniesst grosses Vertrauen. Aber er bezahlt dafür einen hohen Preis: Ein Privatleben hat er praktisch keines mehr, die Familie ist offensichtlich an seinem beruflichen Eifer zerbrochen.
Workaholic mit Hirntumor
Umso härter trifft ihn nun ein eigenes gesundheitliches Problem: Er leidet an einem Hirntumor und sollte die Arbeit daher niederlegen. Bloss: Er hält sich längst für unersetzlich.
Auf Anraten eines Kollegen akzeptiert Jean-Pierre immerhin, dass ihm zukünftig eine jüngere Frau (Marianne Denicourt) zur Seite steht, die sich einarbeitet und später allenfalls zu seiner Nachfolgerin werden soll.
Dass Nathalie zuvor in der Notaufnahme eines Spitals gearbeitet hat, beeindruckt den Doktor aber wenig. Er bezweifelt ihre Fähigkeiten als Landärztin und lässt sie das auch wissen. Sie hingegen ist eisern gewillt, ihn eines Besseren zu belehren.
Liebevoll, aber ohne Kitsch
Die Filmkomödie «Médecin de campagne» ist eine vergnügliche Hommage an einen leise aussterbenden Beruf, ein leicht nostalgischer Blick auf eine Medizin, die den persönlichen Kontakt zum Patienten noch ohne Wenn und Aber ins Zentrum stellt.
Oder wie es Jean-Pierre seiner neuen Kollegin anlässlich einer missglückten Konsultation beibringt: zuhören. Den Patienten immer ausreden lassen. Keine voreiligen Schlüsse ziehen.
Charmant – und doch ein Kollegenschwein
Gelungen an dem Film ist vor allem, dass er die Landmedizin zwar liebevoll schildert, sie aber nie leichtsinnig verklärt oder idealisiert: Der Ton ist ruppig, die Patientinnen und Patienten sind oft sture Böcke.
Und auch der Landarzt selbst, obwohl von Cluzet mit Charme verkörpert, ist in manchen Szenen ein regelrechtes Kollegenschwein. Gekonnt zieht der Autor und Regisseur Thomas Lilti, selbst ursprünglich ein Mediziner mit Landerfahrung, ein Maximum an Situationskomik aus dem Stoff.
Kritik am Gesundheitswesen
Auf den ersten Blick ist «Médecin de campagne» nicht mehr als leichte Unterhaltung, aber Lilti hat in seinen Film nicht nur zahlreiche Anekdoten und witzige Dialoge eingebaut, sondern er umkreist auch systematisch die Problematik des Gezeigten.
In mehreren Szenen wird direkt angesprochen, wo im französischen Gesundheitswesen überall der Schuh drückt. Diese Passagen wirken jedoch nie belehrend, sondern helfen dem Publikum dabei, den Kontext der Geschichte zu verstehen.
Mit Herz und Verstand
Vor allem aber ist dieser «Médecin de campagne» Populärkino im besten Sinne: Der Film vermittelt eine positive Botschaft und zeigt Figuren, die sich zwar gern angiften, aber dann doch das Herz am richtigen Fleck haben.
Bezahlt macht es sich vor allem, dass Thomas Lilti die Welt bestens kennt, die er da schildert.
Daher verschwendet er keine Zeit mit falschen Tränen: Obwohl seine Hauptfigur an einer potenziell tödlichen Krankheit leidet und auch sonst viele alten und kranken Menschen den Film bevölkern, wird Lilti in fast keiner Szene rührselig, sondern er bleibt bis zum Schluss mit Herz und Verstand bei der Sache.
In Frankreich wurde der Film – wegen Cluzet, aber auch wegen der Thematik – zum Grosserfolg. Das dürfte ihm auch hierzulande blühen.
Kinostart Deutschschweiz: 8.9.2016
Sendung: SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 7.9.2016, 16:50 Uhr