«It’s alive!» möchte man gerne mit Viktor Frankenstein ausrufen, der zusieht, wie seine Kreatur dank der Energie eines Blitzes zum Leben erwacht. Aber der Vergleich hinkt: Das NIFFF, das «Neuchâtel International Fantastic Film Festival» ist nicht aus Leichenteilen zusammengebaut, auch wenn das ängstliche Menschen, die noch nie da waren, immer wieder glauben.
Das NIFFF ist mit seinen Genrekino-Schwerpunkten (Fantastisches Kino, Filme aus Asien und «Future Images») tatsächlich ein Nischenfestival. Aber den Nischenfestivals gehört die Zukunft, während das klassische Kino im Mainstream-Bombast verkümmert.
Freunde unter sich
Das hat sich in den letzten sieben Tagen am Neuenburgersee erneut gezeigt: Das Publikum aus der West- und der Deutschschweiz strömt ans NIFFF. Und: Auch die Deutschschweizer kommen, obwohl die Medien das Festival nach wie vor eher stiefmütterlich behandeln. Das hat damit zu tun, dass die Freundinnen und Freunde des Fantastischen Films (und des Horrorfilms) ohnehin überall so etwas wie Stämme bilden. Man ist unter sich, man muss sich nicht erklären oder gar rechtfertigen.
Wenn in einem der fünf NIFFF-Kinosäle das Licht ausgeht und die Sponsoren-Trailer auf die Leinwand kommen, dann geht die Party meist schon los. Insbesondere der grottenschlechte, aber heissgeliebte «Film de minuit»-Trailer des Westschweizer Fernsehens, mit seinen tanzenden Billig-CGI-Skeletten, animiert den Saal regelmässig zum chorartigen Mitsprechen und vor allem Mitlachen: «Muahhaahahaaah».
Dieses Gemeinschaftsgefühl, dass sich im Publikum einstellt (und das jedes Publikum weltweit immer stärker zu suchen scheint, je individuell verfügbarer die Produkte der Unterhaltungsindustrie werden), das kennen auch die Filmemacher. Am NIFFF treffen sich die mal hochgejubelten, mal verdient gefeierten Grössen vergangener Genre-Hochzeiten und ihre Nachfolger. Dieses Jahr zum Beispiel die New Yorker B-Picture-Legende Larry Cohen oder der deutsche Filmemacher Roland Klick, die den Austausch mit Fans und jungen Filmemachern sichtlich geniessen.
Lebendige Szene
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Die Filmemacher unter sich geniessen es, unter Kennern zu sein und sich nicht dauernd für ihre Genre-Vorlieben rechtfertigen zu müssen. Der Neuenburger Olivier Beguin, der mit seinem wunderbaren modernen Vampir-Film «Chimères» im Wettbewerb eine ausgesprochen gute Figur machte, freute sich über den Austausch mit seinem in Berlin lebenden Deutschweizer Kollegen Mathieu Seiler. Seilers in Deutschland bereits zu Recht gefeierter traumwandlerisch poetischer Film «Der Ausflug» ist eine ebenso witzige wie abgründige Variation auf das Werwolf-Thema und seine Geschlechterfixierung. Sie ist eher ruhig,schön und komisch-lyrisch angelegt als blutig, während Olivier Beguin mit dem letzten Drittel von «Chimères» die Freunde einschlägiger Kost ausgesprochen auf Kosten kommen lässt.
Der diesjährige Wettbewerb hat einmal mehr gezeigt, wie lebendig und vielfältig das fantastische Kino ist. Es sind ja gerade die Genre-Regeln, die Mythen, Vorgaben, Themen, welche es den Filmemachern erlauben, in alle Richtungen vorzustossen. Wenn der Amerikaner Jim Mickle mit «We are what we are» einen modernen mexikanischen Kannibalismus-Film von der ursprünglichen Prekariats-Parabel in eine us-amerikanische religiös-fundamentalistische Satire umbaut, dann ist das mehr als verblüffend. Zumal dabei ein Film entstanden ist, der eher an das Sozialdrama «Winter’s Bone» erinnert, denn an einen Genre-Film über einen menschenfressenden Familienclan.
Der Kanadier Vinzenco Natali («Cube») zeigt mit seiner Version des klassischen Geisterhaus-Films, dass auch neue Spielarten möglich sind, ohne dass auf die postmoderne Ironisierung zurückgegriffen werden muss.
Rückbesinnung auf die Grundlagen
Überhaupt ist die Tendenz zu beobachten, dass sich das Genrekino nach Jahren der Selbstparodierung von «Scream» bis «I know what you did last Summer» oder gar Mainstream-Versoftung via «Twilight» und Konsorten wieder stärker auf seine Grundlagen besinnt. Viele der jüngeren Filmemacher probieren lieber die Kombination von realistischer Alltagszeichnung mit Elementen des klassischen Horrors.
Das kann dann allerdings auch schief gehen, wie zum Beispiel bei «Raze» vom amerikanischen Ex-Marine Josh C. Waller. Der hat versucht, eines der klassischen Exploitation («Ausbeuter») -Genres, nämlich den WIMP (Women in Prison) -Film auf seine Essenz zu reduzieren. Das heisst, er hat fast alle kommerziellen Standard-Elemente wie nackte Haut, sexuelle Gewalt oder pseudo-lesbische Szenen entfernt und den Film auf eine reine Abfolge brutalster Frauenzweikämpfe auf Leben und Tod reduziert.
Mit Zoe Bell, der australischen Stuntfrau, die mit Quentin Tarantinos «Death Proof» bekannt wurde, hat er eine Protagonistin, welche kämpferisch absolut zu überzeugen vermag und auch schauspielerisch nicht enttäuscht. Aber die Reduktion des Exploitation-Cinemas auf seine brutale Kernkompetenz führt nirgendwo hin. «Raze» ist filmischer Selbstzweck, ein wahrhaftes «Dead End» und eine sinnlos unangenehme Kinoerfahrung.
Gelungene Mischung
Doch grundsätzlich funktioniert die Mischung des NIFFF perfekt. Die aktuellen Filme aus Asien, wie etwa der südkoreanische Spionagethriller «The Berlin File» von Ryoo Seung-Wan sind nicht nur spektakulär und temporeich, sondern auch im global-politischen Kontext durchaus nicht ohne Interesse. So ist zum Beispiel der zentrale Held von «The Berlin File» (der vollständig in Berlin spielt) ein nordkoreanischer Agent. Dass dann am Schluss des Films dank einiger ziemlich irrer Twists die zentrale Perspektive doch jene Südkoreas ist, braucht einen nicht zu erstaunen, der fintenreiche und anspielungsreiche Clou des Films dagegen schon.
Zusammen mit den Teil-Retrospektiven der Filme von Roland Klick und Larry Cohen, und Spezialreihen mit Masterclasses zu Soundracks bot diese elfte Ausgabe des NIFFF einmal mehr einen runden Blick bis an die diversen Ränder des zeitgenössischen Filmschaffens. Und mit Rändern sind hier nicht nur die Grenzbereiche gemeint, sondern auch und vor allem die Schnittmengen. Musik und Tongestaltung, aber auch die Computertechniken und Tricks, welche die Tagung «Imaging the Future» mit Gamedesign und überhaupt den hybriden Technologien verbinden, gehören zu jenen Gebieten, die nicht nur das Genrekino mit der Kunstszene fusionieren, sondern mehr denn je schlicht alles im Alltag: Jedes audiovisuelle Produkt ist mittlerweile ein Interface, eine Schnittstelle zwischen Anwender und Programm, ein Portal zu einem System.
Das NIFFF macht diese Vorstellung nicht nur erträglich, sondern oft auch wirklich vergnüglich. Weil die Fantasie nicht nur das verbindende Element darstellt, sondern auch das Herz der Veranstaltung.