Warum produziert SRF eine weitere Krimiserie? Warum nicht etwas ganz Eigenes, noch nie Dagewesenes? Zum Beispiel eine Serie über den aufregenden beruflichen Alltag eines Sanitärinstallateurs. Episode um Episode, Staffel auf Staffel.
Es mag sein, dass sich rund um einen Sanitärinstallateur die eine oder andere spannende Geschichte spinnen liesse. Wöchentlich neue Geschichten rund um den Sanitärinstallateur zu erfinden wäre jedoch eine grosse Herausforderung.
Geschichten, die das Leben schreibt
Dieses Beispiel ist etwas absurd. Es veranschaulicht aber einen zentralen Punkt des Serien-Schaffens. Ausgangslage jeder Produktion muss ein Konstrukt sein, aus dem sich Woche für Woche spannende Geschichten spinnen lassen. Und dieses Konstrukt muss einfach, glaubwürdig und aus dem Leben gegriffen sein.
Ist es glaubwürdig, dass ein Sanitärinstallateur in seinem Beruf dauerhaft in existenzielle Situationen verwickelt wird? Wohl kaum. Für Polizisten, Ärzte und Anwälte trifft dies jedoch zu. Sie sind dauernd mit Situationen um Leben und Tod konfrontiert. Ihr Alltag schreibt Geschichten.
Geschichten, die der Umstand schreibt
Doch der Alltag eines Polizisten, eines Arztes oder einer Anwältin reicht nicht aus. Zusätzlich braucht eine Serie den einzigartigen Einfall, die magische Variante. So werden die Geschichten der sogenannten «Medicals» (Arztserien) oder der «Procedurals» (Krimis) erst spannend.
In der berühmten Arztserie «Emergency Room» werden die Geschichte durch die Umstände zugespitzt. Die Autoren Michael Crichton und John Wells erhoben das Wesen der Notaufnahme zum dramaturgischen Motor. Jede Sekunde kann ein neuer Patient die Türe einrennen oder ein neuer Fall von der Ambulanz angeliefert werden. Pro Episode werden manchmal dutzende Fälle gelöst. Dieses Konzept macht «Emergency Room» einzigartig.
Geschichten, die die Figur schreibt
Häufiger stehen einzelne Figuren im Zentrum von Serien. Figuren, die das Genre überstrahlen und in einem Spannungsverhältnis zu ihrem beruflichen Umfeld stehen. Ein Paradebeispiel: «Dr. House». Der Zuschauer erinnert sich nach dieser Serie an die Hauptfigur und nur selten an die Fälle. Mit dieser wurde ein Dogma aller «Medicals» verletzt – nämlich, dass die TV-Ärzte ihre Patienten lieben. Dr. House tut das nicht. Er verabscheut sie, entzieht sich ihrer Emotionalität. Den Patienten kann das aber egal sein: Die Heilungsquote des genialen Scheusals ist unangefochten.
Auch Krimiserien können figurenzentriert sein. Zum Beispiel «Columbo». Dass der Mörder bereits ab Minute eins bekannt ist, verstösst gegen die Grundregeln des Genres. Neben dem kaltblütigen und brillanten Killer steht der Ermittler in seiner Schrottkarre und zerknautschtem Regenmantel fast als Trottel da. Wer regelmässig einschaltet weiss, dass Columbo kein Trottel ist. Und freut sich mit der Hauptfigur, sobald der stets freundliche Inspektor nach 90 Minuten den arroganten Mörder aufs Kreuz legt.
In beiden Beispielen werden Prioritäten gesetzt, die für alle figurenzentrierten Serien gelten: Patienten, Opfer und Täter spielen die zweite Geige. An erster Stelle steht der Umgang der Hauptfigur mit dem Fall und deren emotionale und intellektuelle Haltung. Das «Wie» ist wichtiger als das «Was».
Geschichten, die SRF schreibt
Dieses Prinzip prägt die Serie «Der Bestatter». Ziel war, etwas Eigenes und noch nie Dagewesenes zu erschaffen. Die Idee stammt vom deutschen Drehbuchautor Hartmut Block. Die Scripts verfasste Dave Tucker. Der Bestatter Luc Conrad, ein ehemaliger Polizist, ist für die Angehörigen der Toten eine wichtigen Person, eine Stütze während des Abschieds. Die Angehörigen vertrauen ihm in dieser Zeit der Verletzlichkeit und Emotionalität Informationen über den Todesfall an, die sonst niemand erfahren hätte – schon gar nicht die Polizei.
Luc Conrad ist zwar ein engagierter Bestatter, doch in ihm schlummert noch immer der Instinkt, der ihn zu einem ausgezeichneten Kriminalbeamten gemacht hat. Dieser Instinkt erwacht, wenn er vermutet, dass hinter einem Todesfall ein Mord steckt. Und ist danach nicht mehr zu bremsen. Das missfällt der Kommissarin Anna Maria Giovanoli. Sie und Luc waren früher Partner – nicht nur im Beruf, sondern auch privat.
Kein Dr. House
Und jetzt löst das Duo wieder gemeinsam Fälle. Zwar unfreiwillig und stetig streitend, aber im Bewusstsein, dass sie sich gegenseitig perfekt ergänzen. Dass es zwischen ihnen wieder knistert, versuchen sie zu verdrängen – mehr oder weniger erfolgreich.
In «Der Bestatter» spielt das Privat- und Familienleben der Figuren eine Rolle. Die Emotionen und Haltungen der Figuren geben dem Fall seine Wichtigkeit. So unterscheidet sich das neue SRF-Format vom traditionellen Dienstagskrimi. Zu Matula («Ein Fall für zwei») oder zum Alten geht der Zuschauer nie nach Hause.
Die innersten Gedanken, die Sehnsüchte und Abgründe der traditionellen ZDF-Ermittler sind kein Thema. Die Emotionen bleiben im Kreis der Opfer, der Angehörigen, der Verdächtigen und schliesslich des Täters. Trotzdem wird Luc Conrad in gewisser Hinsicht ein typischer Dienstagskrimiermittler sein: Auch er fungiert eher als Fels in der Brandung, der wieder Ordnung in ins Chaos bringt. Er ist kein Teil davon. Luc Conrad ist kein Dr. House.