Zunächst einmal Klartext: «American Sniper» ist durch die Art und Weise, wie der Film seinen Helden darstellt, viel mehr Kriegs- als Antikriegsfilm. Regisseur Clint Eastwood reproduziert weitgehend das Bild des eisernen Patrioten, das der Scharfschütze Chris Kyle für seine millionenfach verkauften Autobiografie von sich selbst entworfen hat: Er ist der treue «Schäferhund» (faktisch der tödlichste Scharfschütze in der Geschichte des US-Militärs), der seine «Schafherde» (das eigene Volk) vor den bösen Wölfen (Amerikas Feinden) beschützt.
Die simple Weltsicht des Scharfschützen
160 Menschen tötete Chris Kyle gemäss offiziellen Angaben in seinen vier Einsätzen im Irak, darunter auch Frauen und Kinder. Moralische Zweifel waren für Kyle nie ein Thema. Auch im Film betont der Sniper: Für jeden Abschuss könne er geradestehen. Nur etwas sei bedauernswert: Dass er zum Schutz seiner Kollegen nicht noch mehr Feinde erschossen habe. Das ist Ethnozentrismus der übelsten Sorte, die Eastwood nicht im Geringsten infrage stellt. Von den Irakern erfahren wir in «American Sniper» nichts, mal abgesehen davon, dass sie den Amerikanern feindlich gegenüberstehen.
Weichgezeichnete Schattenseiten
Immerhin beinhaltet Eastwoods Film auch einige Szenen, welche die Schattenseiten des Kriegs beleuchten: Chris Kyles Beziehung mit seiner Frau Taya leidet unter seiner häufigen Abwesenheit (über 1000 Diensttage zwischen 2003 und 2009). Ausserdem kämpft der hochdekorierte Navy Seal mit dem harten Wechsel von nervenaufreibendem Überlebenskampf und entspanntem Familienleben.
Eastwood behandelt diese Aspekte aber nur als dramaturgische Mittel zum Zweck: Um klar zu machen, dass Chris Kyle trotz dieser Herausforderungen «der beste Ehemann und Daddy der Welt» ist.
Der Sniper – Held oder Feigling?
Clint Eastwood folgt mit seiner Überhöhung des Heckenschützen zum Nationalhelden einer alten Tradition. Traf nicht auch Tells Geschoss den bösen Gessler aus dem Hinterhalt? Ja, auch wir Schweizer pflegen unseren Scharfschützen-Mythos… Problematisch wird’s erst, wenn sich der Stoff nicht um eine fantastische Legende, sondern die echte Weltgeschichte dreht.
Historikern standen die Haare zu Berge, als sich Jude Law als Sowjet und Ed Harris als Nazi im Stalingrad-Epos «Enemy at the Gates» ein erbittertes Scharfschützenduell lieferten. Dem Publikum war der mangelnde Realitätsgehalt angesichts der heroischen Kampfkraft und Geschicklichkeit der beiden Sniper dagegen schnuppe.
Der Erfolg von «American Sniper» lässt sich an der Fortführung des beliebten Scharfschützen-Mythos festmachen. Der Film bietet dem Zuschauer die Möglichkeit zur Identifikation mit der Titelfigur. Wobei man sich wirklich fragen sollte, mit wem man sich da identifiziert. Dokumentarfilmer Michael Moore twitterte in diesem Kontext: «Scharfschützen sind Feiglinge, weil sie ihre Gegner aus sicherer Distanz töten.» Ein wenig durchdachter Schnellschuss, sicher. Aber leider einer, der Eastwoods naive Heldenverehrung auf Augenhöhe trifft.