Die nicht mehr ganz junge Karen (Bodil Jørgensen) staunt nicht schlecht, als der geistig Behinderte, den sie eben noch im Restaurant bemitleidete, sich plötzlich als kerngesunder Schauspieler entpuppt. Sie erfährt, dass er zu einer Gruppe von jungen Leuten aus dem Mittelstand gehört, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, die bürgerliche Gesellschaft mit ihren Vorurteilen über Behinderte zu konfrontieren.
Auf den Spuren der Idiotie
Gleichzeitig suchen die Angehörigen der Truppe, die zusammen in einer leerstehenden Villa im Kopenhagener Vorort Søllerød leben, nach dem «inneren Idioten», also jenem unverbildeten und spontanen Menschen, der nicht vom gutbürgerlichen Verhaltenskodex eingeengt ist. Karen ist von der «Spassterei» der Idioten - einer Mischung aus Spassmachen und gespieltem Spastikertum - zunächst angewidert. Der anarchistisch-unbeschwerte Lebenswandel der Gruppe zieht sie aber auch an. Doch in der Quasi-Kommune ist nicht alles eitel Wonne. Stoffer (Jens Albinus), der radikalste Idiot, behauptet seine Machtposition zum Teil auf Kosten der anderen. Ein Kaviargelage und eine Gruppensex-Einlage läuten das Ende der Truppe ein.
«Idioterne» - «Die Idioten» - ist der zweite Teil von Lars von Triers «Golden Heart»-Trilogie, die sich um gutherzige Frauen dreht, welche schlimme Dinge erleben müssen. In den anderen Teilen «Breaking the Waves» und «Dancer in the Dark» stand jeweils eine moderne Märtyrerin im Mittelpunkt; in «Idioterne» geht es um die Auseinandersetzung der introvertierten Karen mit der Gruppe von «Idioten», deren anarchistisch-unbeschwerte Gemeinschaft sie ebenso abstösst wie fasziniert.
Grenzüberschreitung nach Regelwerk
«Idioterne» provoziert, nicht zuletzt mit einer happigen Gruppensex-Szene, welche bewusst die Grenze zur Pornografie tangiert. So sehr sein Film inhaltlich vom Überschreiten von Grenzen handelt, so stark hat sich von Trier durch das Einhalten der zehn Gebote des Filmermanifests «Dogme 95» formal eingeschränkt. Die Arbeit mit Video, Handkamera und Liveton bedeutete einen Verlust an Kinoästhetik, schuf aber eine enorme Nähe zu den ausgezeichnet agierenden, teilweise improvisierenden Schauspielern. So wirkt die sogenannte Spassterei der Idioten zugleich komisch und beklemmend.
«Idioterne» bricht vorsätzlich Tabus, erschöpft sich aber nicht im spekulativen Selbstzweck. Vielmehr zwingt von Triers mehrfach preisgekrönter Film, der auch in Cannes im Wettbewerb lief, zum Nachdenken über die eigene Einstellung zum (Ab-)Normalen sowie über die Grenzen zwischen Fiktion und Realität.
Schweizer Radio und Fernsehen zeigen «Die Idioten» im Rahmen des Themenschwerpunktes «Big Dada».