Das 19. Jahrhundert ist auch im Kino zur Wundertüte geworden. Das nostalgische Potential der Geschichten von Jules Vernes oder rund um Sherlock Holmes hat Hollywood längst erkannt. Dank «Steampunk»-Design und der Vermischung modernster Kinotechnik mit frühindustriellem Nieten- und Industriedesign wurde die Welt der Muggles in Harry Potter eben so attraktiv wie jene von Dr. Watson in den Sherlock-Holmes-Filmen eines Guy Ritchie.
Dabei hat der deutsche Autor Daniel Kehlmann das Potential schon 2005 entdeckt. Sein Ausflug ins frühe 19. Jahrhundert und in die Anfänge der modernen Wissenschaft wurde zum internationalen Bestseller. Dank dem Rückgriff auf zwei eben so spannende wie kontrastierende Figuren: Den preussischen Adeligen und Weltforscher Alexander von Humboldt setzte Kehl parallel zum deutschen Mathematik-Genie Carl Friedrich Gauss.
Stubenhocker versus Abenteurer
Der eine wusste die finanzielle Potenz eines Familienbesitzes hinter sich, der andere kam aus ärmlichen Verhältnissen und konnte sein Studium nur dank eines Stipendiums des Herzogs von Braunschweig in Angriff nehmen. Humboldt trotzte mit naiv anmutender Begeisterung den Gefahren der Welt und bereiste, durchzählte und vermass sie systematisch bis in die letzten Winkel. Gauss blieb Stubenhocker und erweiterte Kraft seines Geistes die mathematischen Räume um neue Dimensionen.
So zumindest kontrastieren die beiden fiktionalen Biografien realer historischer Persönlichkeiten bei Daniel Kehlmann. Und das Spiel erlaubt mannigfache Einblicke in die Geisteswelt des frühen 19. Jahrhunderts, in der Aufbruch und Tradition heftig miteinander rangen.
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Ungewohnte Leserschaft
Der Roman wurde zum Überraschungserfolg für seinen damals erst 30jährigen Autor. Und seine Leserschaft rekrutierte sich für einmal aus Kreisen, die sonst sowohl historischen wie auch geisteswissenschaftlichen Themen eher verschlossen bleiben. Mit anderen Worten: Ein Stoff mit erwiesenem Verkaufspotential.
Da überrascht es nicht sehr, dass auch in deutschen Landen Pläne zu einer Verfilmung auftauchten. Schon eher überraschend, dass die ausgerechnet von Claus Boje und seinem Produktionspartner Detlev Buck kamen.
Wir können auch anders
Insbesondere Buck galt und gilt als selbststilisiertes Raubein. Sein lakonischer, in späteren Jahren auch mal etwas simpler Humor hatte Filme geprägt wie «Karniggels» (1991) und «Wir können auch anders» (1993), aber auch Klamauk wie «Männerpension» (1996) und später gar heftig ernstgemeinte Versuche wie das Strassendrama «Knallhart» (2006) oder das kulturübergreifende Rührstück «Same Same But Different» (2009).
Und nun wollte ausgerechnet dieser Buck sich am 19. Jahrhundert vergreifen? Und dazu noch, wie man hörte, mit einer brandaktuellen, weltmarkttauglichen Produktion in 3D? Immerhin konnte Romanautor Daniel Kehlmann als Drehbuchautor verpflichtet werden.
Film misslingt trotz feiner Zutaten
Und das Schauspieler-Ensemble ist vom derzeit Feinsten: Karl Markovics und Katharina Thalbach in Nebenrollen, Nachwuchstalente wie David Kross, Florian David Fitz oder Lennart Hänsel in tragenden Rollen, und Szenies wie Regisseur Leander Haussmann, Sven Regener, Buck himself oder Daniel Kehlmann in Nebenchargen - durchaus ein Versprechen, hin und wieder sogar eingehalten vom fertigen Film.
Aber alles in allem ist die filmische Reduktion von Kehlmanns reizvoller Versuchsanlage misslungen. Das Drehbuch beschränkt sich darauf, die Kontraste und Gemeinsamkeiten der beiden Figuren unter diversen Blickwinkeln durchzuspielen. Ob nun das unterschiedliche Leben der ganz jungen Protagonisten ausgeschmückt wird, oder ihr von Alltagshärte und Strapazen gezeichnetes Leben später: Immer wird auf Kontrast gespielt.
Uninspiriert wie ein Regalmöbel
Das führt in einzelnen Fällen sogar zu schönen Bildideen. Die schönste etwa bietet ein Szenenanschluss bei der sich die aktuelle Szenerie in Deutschland von unten gegen das auf dem Kopf stehende Bild eines südamerikanischen Flusslaufes mit Humboldt im Boot schiebt, bis sich das Bild dreht - die Antipoden bildlich.
Aber über weite Strecken bedient sich der Film der groben Bilder so, wie er die 3D-Technik nutzt: Uninspiriert und häufig dem naheliegendsten Moment ergeben. Damit wirkt diese «Vermessung der Welt» nicht frisch und abenteuerlich wie seinerzeit die Lektüre des Romans - im Gegenteil:
Der Film wirkt steif und hingeschraubt wie ein Regalmöbel, das zwar planmässig aus Designerelementen zusammengesetzt wurde, aber eben trotz allem ein industrielles Massenprodukt geworden ist.