Kleines Experiment zu Beginn: Erinnern Sie sich an die Filmmusik von «Star Wars»? Natürlich. An «James Bond»? Wahrscheinlich kommen Ihnen gleich mehrere Bond-Songs in den Sinn. «Harry Potter» und «Lord of the Rings»? Easy. Und was ist mit den höchst erfolgreichen Marvel-Verfilmungen? Irgendeine Melodie? Keine einzige? Dann sind Sie in guter Gesellschaft, wie eine aktuelle Umfrage beweist.
Marvels Kampf um mehr Originalität
Das ständig expandierende Marvel-Universum rund um Thor, Hulk, Iron Man und Captain America ist inzwischen die erfolgreichste Film-Franchise Hollywoods. Die Abenteuer der Avengers spülen zuverlässig Hunderte von Millionen Dollar in die Kassen. Wegen ihrer Gleichförmigkeit hat man die Filme aber rasch wieder vergessen.
Dass die Bilder und Töne beinahe beliebig austauschbar sind, stört die meisten Zuschauer kaum. Denn es klingt ja alles recht gut und sieht, zumindest auf den ersten Blick, bombastisch aus. Nur einen Platz im kollektiven Gedächtnis kriegt man damit nicht.
Genau dorthin will Marvel aber, wie erste Ausflüge zu den interessanteren Randgebieten des Mainstreams beweisen. Nach «Guardians of the Galaxy», «Ant-Man» und «Deadpool» ist auch die Rekrutierung von Benedict Cumberbatch als «Dr. Strange» in diesem Zusammenhang zu sehen.
«Mister Merkwürdig» als Marvel-Messias?
Der gefeierte Brite hat sich in den letzten Jahren geradezu auf das Sonderbare, das Besondere spezialisiert: Cumberbatch spielte fast ausschliesslich geniale Aussenseiter wie Stephen Hawking, Sherlock Holmes oder Alan Turing.
Neben diesen Filmrollen trugen sicherlich auch seine aussergewöhnlichen Gesichtszüge dazu bei, dass er bald als «Mister Merkwürdig» verehrt wurde. Einen besser geeigneten Kandidaten für die Rolle des «Dr. Strange» hätte Marvel also kaum finden können.
Zu Filmbeginn ist Stephen Strange ein reicher, eitler und ziemlich unsympathischer New Yorker Neurochirurg. Ein Besserwisser, der zuerst schwer verunfallen muss, bevor er in Fernost zum geläuterten Superhelden mit magischen Kräften mutiert.
Tilda Swinton hilft ihm als uralte, glatzköpfige Meisterin, übersinnliche Kräfte zu entwickeln. Ausgerechnet die Engländerin Swinton, die wegen ihrer Exzentrik als so etwas wie Cumberbatchs weibliches Pendant gilt.
Herkömmliche Handlung verhindert Heldentaten
Eine Marvel-Verfilmung, die den Rahmen der Konventionen sprengt, schien mit Blick auf die Besetzung in greifbarer Nähe. Umso schwerer wiegt die Enttäuschung. «Dr. Strange» ist bloss solide Massenware nach bekanntem Strickmuster – obwohl der Film das Zeug zum funkelnden Bewusstseinstrip gehabt hätte.
Statt auf der Handlungsebene innovativ zu sein, schmückt sich «Dr. Strange» mit Personen und Dingen, die für Originalität stehen. Mit der der Ästhetik von «Inception» zum Beispiel. Oder seinem schillernden Hauptdarsteller: Benedict Cumberbatch.
Der unverwechselbare Charakterkopf schlägt sich durchaus wacker als Marvel-Metawesen. Aber um aus dieser dünnen Story etwas wirklich Einzigartiges zu machen, hätte der Brite mehr gebraucht: echte Superkräfte!