Die Filmkarriere von Peter Strickland begann mit dem Tod seines Onkels. Damals erbte er einen grösseren Geldbetrag. Dem britischen Blatt «The Guardian» erzählte er: «Ich stellte mir die Frage: Soll ich mir jetzt eine kleine Eigentumswohnung in Bracknell kaufen oder in Transsilvanien ein Rachedrama verfilmen?» Der Brite, der bis dahin nicht wusste, wohin es beruflich gehen soll, entschied sich für die zweite, riskantere Variante.
Gestern Achtungserfolg, heute Kultstatus
Rückblickend mag der Entscheid richtig gewesen sein. Doch vorerst geriet Strickland in eine Krise. Nach den Dreharbeiten war er verschuldet und fand lange niemanden, der sich für sein ungeschnittenes Filmmaterial hätte erwärmen können. Ein ungarisch gesprochener Rape-and-Revenge-Film aus Rumänien, gedreht von einem unbekannten Briten ohne Filmschulausbildung?
An dessen Erfolg glaubte niemand. Erst mit der Hilfe von Freunden und vielen Stunden Gratisarbeit konnte der Film 2008 fertiggestellt werden. Heute geniesst Stricklands «Katalina Varga» Kultstatus, damals reichte es gerade einmal zum Achtungserfolg.
Abgewiesen vom Filmfestival Cannes
Für sein zweites Spielfilmprojekt «Berberian Sound Studio» konnte Peter Strickland den britischen Schauspieler Toby Jones («Die Tribute von Panem») als Zugpferd verpflichten. Es sah danach aus, als würde der stimmungsvolle Thriller rund um einen britischen Tontechniker in einem italienischen Horrorfilmstudio zumindest auf den Festivals und unter Genre-Filmfans für Furore sorgen.
Doch die Berlinale wies den Film ab, das Filmfestival von Cannes ebenfalls. Schliesslich lief «Berberian Sound Studio» 2012 in Locarno. Zwar gewann der Film dort keinen nennenswerten Preis, aber immerhin wurde er wohlwollend, wenn nicht gar euphorisch aufgenommen. Besonders die britische Presse war des Lobes voll. Spätestens da wurde Strickland als innovativer, origineller Regisseur geschätzt.
Sorgfältig strukturierte Stimmungen
Doch so sehr Strickland heute die Kritik und die Kenner begeistert: Die grosse Masse wird er mit seinem eklektischen Stil nie erreichen. Konventionelle Narration interessiert ihn nicht, vielmehr vermittelt er sorgfältig konstruierte Stimmungen – oft angelehnt an die Ästhetik des europäischen Genrekinos der 70er-Jahre und mit einem avantgardistisch anmutenden Einsatz von Gegenständen und Geräuschen, der an Fetischismus grenzt.
Gerne sucht Strickland visuelle und sonore Entsprechungen zum Innenleben seiner bizarren Figuren. Er taucht in Traumwelten ab, moduliert das Geschehen, spielt mit den Erwartungen der Zuschauer, streut da und dort etwas absurden Humor ein. Und er gönnt sich – in eher seltenen Momenten – direkte Zitate aus den zahllosen Filmen und Musikstücken, die ihn inspiriert haben.
Über die Kunstform Film nachdenken
Stricklands Horrorfilme ohne Horror sind Fundgruben für Menschen, die gerne darüber nachdenken, was die Kunstform Film als solche zu leisten vermag. Er schafft wunderschön gestaltete und klingende Objekte rund um die komplexen Wechselwirkungen zwischen Wahrnehmung und Psyche.
Wer jedoch Orte und Handlung klar definiert haben will und schlüssige Motive braucht, um einen Film geniessen zu können, ist bei Strickland definitiv an der falschen Adresse. Bei ihm regiert die Fantasie.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur Aktuell, 28.5.2015, 17:10 Uhr.