Als der Arzt ihn fragt, warum er vor dem Plastikdinosaurier keine Angst habe, erklärt der kleine Nathan sehr ernsthaft: Weil der Stegosaurus ein Pflanzenfresser sei. Und als seine Mutter ihn fragt, ob sie ihm bei den Matheaufgaben helfen solle, erklärt er ebenso ernsthaft: Dafür sei sie nicht «smart» genug.
«Es sind Superkräfte»
Nathan ist leicht autistisch. Er mag keine Berührungen und keine Veränderungen. Und er löst lieber Mathe-Probleme, als sich irgendwelchen Gefühlen auszusetzen. Sein Vater erklärt ihm, er sei anders als die anderen, weil er Superkräfte habe.
Das funktioniert eine Weile ganz gut, Nathan erträgt so auch die Hänseleien seiner Mitschüler. Erst, als er auf einen eher aussergewöhnlichen Lehrer trifft, auf ein abgestürztes Mathematikgenie, beginnt Nathan, seinen Platz im Leben zu finden.
«Warum gehen Sie nicht richtig?» fragt Nathan den hinkenden Humphries. «Weil ich Multiple Sklerose habe», sagt dieser. Und fragt zurück: «Warum bist Du so eigenartig?»
Rein ins Leben!
Die Superkräfte akzeptiert Humphries. Aber dass Nathan ihm nicht die Hand schütteln will, das lässt er nicht gelten. Manchmal müsse man eben Dinge tun, die einem nicht behagten, erklärt er einfach – und damit beginnt ein Mathematik-Unterricht, welcher den Teenager Nathan schliesslich mit dem britischen Mathe-Olympia-Team ins ferne Taiwan verschlägt. Einen Ort, wo er plötzlich von lauter ganz ähnlichen semi-autistischen Mathe-Genies umrundet ist.
Zum Glück für Nathan, den Film und uns Zuschauer entdeckt der Junge in Taiwan mehr als nur die Schönheit der Mathematik. Zum Beispiel auch die fröhliche Zhang Mei, die ihn mit ihrer Direktheit aus seinem Schildkröten-Panzer holt.
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Brillante Schauspieler, herzliches Vergnügen
Regisseur Morgan Matthews hat das Drehbuch auf der Basis seines eigenen Dokumtarfilms über junge Mathematik-Genies entwickelt – und dies offensichtlich mit der Hilfe abgebrühter Spielfilm-Profis. Denn «X+Y» brilliert mit starken Darstellern wie Asa Butterfield, der vor vier Jahren noch den kleinen Hugo in Martin Scorseses gleichnamigem Pariser Abenteuer gespielt hatte, oder britischen Schauspielerperlen wie dem unvergleichlichen Eddie Marsan und der noch unvergleichlicheren Sally Hawkins.
Aber der Film brilliert ebenso mit einer rührselig-schwungvollen Hollywood-Dramaturgie, welche den durchaus vorhandenen Realismus immer gerade so weit dämpft, dass man das Seufzen im Kino noch so richtig geniessen kann. «X+Y» ist britisches Hollywood-Kino vom Feinsten, ein wenig «guilty pleasure», viel «british acting» – und am Ende vielleicht nicht der nötigste Film von allen, aber durchaus ein herzliches Vergnügen.
Kinostart: 30.4.2015
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 1.5.2015, 13.02 Uhr