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Schauspielerin Libuše Šafránková als Aschenbrödel.
Legende: Empanzipierter als in der Grimm'schen Vorlage: Die tschechische Schauspielerin Libuše Šafránková als Aschenbrödel. Filmové studio Barrandov / DEFA

Film & Serien Ein sozialistisches Wintermärchen

«Drei Haselnüsse für Aschenbrödel» ist nicht nur romantisches Wintermärchen. Bei genauerem Hinschauen entdeckt man in der tschechisch-deutschen Co-Produktion von 1973 Spuren des sozialistischen Zeitgeistes.

Tiefschnee im Tannenwald. Das Aschenbrödel (Libuše Šafránková) beobachtet den Prinzen bei der Jagd, aus dem Hinterhalt wirft sie einen Schneeball und trifft den Königssohn prompt am Kopf. Diese Szene macht klar: Wir haben es mit einem aufmüpfigen Aschenbrödel zu tun. Später wird sie als Jäger verkleidet einen Raubvogel erlegen und damit den verdutzten Prinzen und sein männliches Gefolge beeindrucken.

Empanzipiertes Frauenbild

In der Grimm‘schen Version des Märchens gibt es weder den Schneeball noch die Jägerin. Die tschechische Verfilmung vermittelt ein für 1974 ziemlich fortschrittliches Frauenbild. Das hat mit den Produktionsländern des Films zu tun: In sozialistischen Staaten wie der Tschechoslowakei und der DDR waren Frauen emanzipierter als im Westen.

Der gesellschaftspolitische Hintergrund des Films ist auch an anderer Stelle zu spüren: Das Aschenbrödel ist in Bezug auf materielle Dinge sehr bescheiden. Vom Stallburschen wünscht sie sich keine teuren Gegenstände, sondern «was dir auf deinem Weg vor die Nase kommt». Soweit stimmt die tschechische Verfilmung noch mit dem Grimm'schen Original überein - auch da will das Aschenbrödel «das erste Reis, das euch auf dem Heimweg an den Hut stösst». Genügsamkeit anstatt Konsum und Kommerz - diesbezüglich passte die Grimm'sche Vorlage gut ins Weltbild der kommunistischen Kulturschaffenden.

Märchenfilm als Zufluchtsort im Kommunismus

Erstaunlich, dass die drei Haselnüsse dem Aschenbrödel dann doch edle Kleider bescheren. War das den Kommunisten nicht zu konsumorientiert, zu westlich? Wahrscheinlich ist diese Freiheit dem Genre des Märchenfilms zu verdanken: Hier griff die Zensur vergleichsweise selten ein. Der Kinderfilm sei ein Zufluchtsort für die Künstler gewesen, an dem sie ungestört hätten arbeiten können, sagte Regisseur Václav Vorlíček dem deutschen Magazin Fluter. Lediglich bei der Kleidung hätten sich die Filmschaffenden auch in Märchenfilmen zurückhalten müssen: Bunte Farben seien der Zensur zu westlich gewesen.

«Drei Haselnüsse für Aschenbrödel» ist bis heute ein beliebter Weihnachtsfilm: Um die Festtage läuft das Wintermärchen auf zahlreichen deutschsprachigen Kanälen (am 25. Dezember auf SRF1). Dass dieser Märchenfilm so zeitlos ist, dürfte einerseits am erfrischend emanzipierten Aschenbrödel liegen. Aber vielleicht sind  auch die vermittelten Werte - Naturverbundenheit und die materielle Bescheidenheit - eine willkommene Abwechslung zum vorweihnachtlichen Konsumrausch.

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