Manchmal muss man den Leuten auf die Füsse schauen, um eine neue Facette ihres Charakters zu entdecken. Oder vielmehr auf die Knöchel. Das macht man vielleicht, wenn man verlegen und verschämt kurz auf den Boden schaut, weil man vom Gegenüber etwas eingeschüchtert ist. Aber ich greife vor.
Ein Kinoschwergewicht
Als das Filmfestival den Namen des Jurypräsidenten bekannt gab, dachte ich: Oh, der Mann ist doch alt und krank, sitzt wegen schweren Rückenproblemen seit einigen Jahren im Rollstuhl. Das macht sicher grummelig, dachte ich.
Der Mann war schon immer ernst, seine Filme dramatisch, episch, opernhaft, oft gar melodramatisch. «Ultimo Tango a Parigi», «Novecento» oder «The Last Emperor» sind keine leichten, witzigen Komödien. Nun präsidiert dieses Kinoschwergewicht also die Jury von Venedig.
Und er hat auch einen neuen Film mitgebracht. Etwa 90 Sekunden dauert er: und er hat – man staune – bei der Vorführung (im Rahmen eines Kurzfilmprogramms zur Feier der 70. Ausgabe) für grosse Erheiterung im Saal gesorgt. Man sieht die ganze Zeit nur die Räder eines Rollstuhls, der Mühe hat, über das Kopfsteinpflaster der Stadt Rom zu holpern. Am Ende sieht man zwei knallrote Turnschuhe, die Füsse darin tragen Socken mit bunten Harlekin-Rauten. Und dann werden Titel und Regisseur eingeblendet: «Red Shoes» von Bernardo Bertolucci.
Die Füsse des Jurypräsidenten
Zwei Tage später sitze ich in einer Spätvorstellung. Direkt hinter den Rollstuhlplätzen. Etwa zwei Minuten vor Filmstart rollt Bertolucci direkt auf den Platz vor mir, nickt mir kurz zu. Verlegen schaue ich auf seine Füsse. Und da sind sie: die Arlecchino-Socken aus dem Kurzfilm! Der Mann hat ja doch Schalk, denke ich. Und mit seinen Socken passt er wunderbar in diese Stadt der vielen Masken und Figuren.