«Wenn man Schwänze, Sperma und andere Körperflüssigkeiten eklig findet, kann man es mit dem Sex auch direkt bleiben lassen», so die 18-jährige Helen Memel (Carla Juri). Ob sie sich an der Brille öffentlicher Klos reibt oder mittels blutiger Tampons mit ihrer Freundin Blutschwesternschaft schliesst, der Teenager gewordene Albtraum jedes Reinlichkeitsfanatikers lässt an Widerwärtigem nichts unversucht. Dies auch als Reaktion auf ihre Mutter (Meret Becker), der Hygiene noch über die Liebe zum eigenen Kind ging.
Provokation und Einsamkeit
Mit einer klaffenden Wunde am Po findet Helen sich nach der Intimrasur im Spital wieder. Ihre unverschämte Art sorgt bei der Ärzteschaft für Irritation, doch der schnuckelige Pfleger Robin (Christoph Letkowski) durchschaut Helens Lust an der Provokation und erkennt eine einsame junge Frau mit einem spiessigen Traum: ihre zerbrochene Familie wieder zusammenzuführen.
Die Autorin des gleichnamigen Skandalromans selbst, Charlotte Roche, hatte «Feuchtgebiete» als unverfilmbar bezeichnet. David Wnendt jedoch, dem jungen Regisseur, der mit «Kriegerin» eine andere starke Frau im Umfeld einer Neonaziclique porträtiert hatte, glückt mit seiner Adaption das Kunststück, den umstrittenen Buchbestseller zu übertrumpfen.
Natürliche Frische
Dies ist auch das Verdienst seiner Hauptdarstellerin, der Tessinerin Carla Juri, die zuvor als Annemarie in Xavier Kollers «Eine wen iig, dr Dällebach Kari» zu sehen gewesen war. Juri verleiht der in der Vorlage auch bemühend provokativen Figur - und ihrem Film gleich mit - eine umwerfend natürliche Frische. Umso bedauerlicher, dass Juri bei der Weltpremiere des Filmes im Jahre 2013 anlässlich des Filmfestivals von Locarno bei der Auszeichnung für die Beste Hauptdarstellerin übergangen wurde.
1985 in Locarno geboren, ist Carla Juri im Ambrì aufgewachsen und als Eishockeyjuniorin einer Einladung an eine US-Highschool gefolgt. Ihre schauspielerische Ausbildung absolvierte die Tochter eines Anwalts und einer Bildhauerin nach der Matura in Los Angeles und in London. 2008 debütierte sie mit einem Auftritt in der kurzlebigen SRF-Serie «Tag und Nacht», von ihrer sportlichen Vorgeschichte profitierte Juri in der Eishockeykomödie «Champions» mit Marco Rima.
Internationale Anerkennung
Für ihre Nebenrolle im Episodenfilm «180°» durfte Carla Juri den Schweizer Filmpreis entgegennehmen. Juris Hauptrolle in «Feuchtgebiete» brachte ihr auch internationale Anerkennung ein. Die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» attestierte ihr «eine Natürlichkeit, Unbekümmertheit und Frische, die für den Film gar nicht hoch genug einzuschätzen sind. Denn sie bilden einen elementaren Kontrast zu Blut, Rotz und Schleim, durch die der Film watet, und bewahren die Exhibitionistin Helen mitten im Ekel doch als Sympathieträgerin.»
Nach Rollen in «Finsterworld» und «Lovely Louise» hat Carla Juri zuletzt den britischen Thriller «Fossil» gedreht, ist für Altmeister Peter Greenaways Film «Walking to Paris» vor der Kamera gestanden und teilt demnächst mit den «Game of Thrones»-Stars Kit Harrington und Carice van Houten sowie Dakota Fanning und Guy Pierce im niederländisch-französischen Thriller «Brimstone» die Leinwand, der für 2016 angekündigt ist.