Jenny (Hannah Herzsprung) ist «die Neue» im Frauengefängnis, sie sitzt wegen Mordes. Als sich ihre Zelleninsassin in der Nacht erhängt, scheint sie das nicht zu berühren. Sie lässt niemanden an sich heran, ist aggressiv, selbstzerstörerisch und höchst unberechenbar. Und sie schlägt schon einmal grundlos den gutmütigen Wärter Mütze (Sven Pippig) zusammen. Die 80jährige Traude (Monica Bleibtreu), die seit bald 60 Jahren im Gefängnis Klavierunterricht gibt und mit einem neuen Flügel für ihren Anfängerinnenkurs wirbt, erkennt Jennys grosses Talent: Die junge Gefangene ist hoch musikalisch und hätte Chancen, einen nationalen Klavierwettbewerb zu gewinnen. Und bald kennt Traude nur noch ein Ziel: Jenny auf diesen Wettbewerb vorzubereiten.
Für die alte Dame, die während des Krieges bereits im Gefängnis als Krankenpflegerin arbeitete und an ihrer Liebe zu einer Gefangenen fast zerbrach, ist Disziplin und Selbstbeherrschung das A und O im Leben. Sie hält Jenny für niederträchtig und schlecht, doch sie ist bereit, ihre grosse Gabe zu fördern. Jenny denkt nicht daran, diszipliniert zu üben oder sich den Vorstellungen von Traude zu beugen. Zwischen den beiden Frauen kommt es immer wieder zu gewaltsamen Zusammenstössen. Doch die Liebe zur Musik bringt die beiden schliesslich näher, als ihnen zunächst bewusst ist.
Kollission der Welten
In Chris Krauses «Vier Minuten» prallen zwei Welten aufeinander: Traude kommt aus einer anderen Zeit, in der preussische Zucht herrschte, Selbstdisziplin das Leben bestimmte und das Zeigen von Emotionen ein Tabu war. Die junge Gefängnisinsassin Jenny ist emotional fragil und selbstzerstörerisch, lässt ihren Aggressionen immer wieder freien Lauf und versteckt dahinter tiefergehende Gefühle. Beide Lebenswege sind durch Verletzungen und durch die Unfähigkeit zur Empathie gezeichnet. Gemeinsam ist den beiden Frauen, dass sie sich einzig über die Musik ausdrücken können. Der Rhythmus des Films ist denn auch durch das emotionale Auf und Ab dieser ungleichen Beziehung bestimmt, was sich in harten, präzisen Schnittfolgen und virtuosen Kamerafahrten spiegelt.
«Vier Minuten» wurde mit dem Deutschen Filmpreis ausgezeichnet und mit Kritiker- und Zuschauerlob überhäuft, aber erst nach einem harzigen Start: Um überhaupt in den deutschen Kinos anlaufen zu können, musste das Drama zuerst am Filmfestival Shanghai als Bester Film ausgezeichnet werden. Die beiden Schauspielerinnen laufen unter Krauses Regie zu Höchstform auf: In der Rolle der Traude ist die Grande Dame des deutschen Theaters Monica Bleibtreu zu sehen, die im Mai 2009 mit nur 65 Jahren verstorben ist. Sie gewann für ihre Leistung in «Vier Minuten» neben dem Deutschen und dem Bayerischen Filmpreis diverse andere Auszeichnungen an internationalen Festivals. Im Herbst 2009 war sie in einer ihrer letzten Rollen in Bettina Oberlis «Tannöd» in den Schweizer Kinos zu bewundern.
Hannah Herzsprungs Entdeckung
Die grosse Entdeckung von «Vier Minuten» aber ist Hannah Herzsprung: Ihr entfesseltes Spiel hat die Hamburgerin zum neuen Shootingstar des deutschen Films gemacht. Seither wird sie mit Angeboten nur so überhäuft, spielte in den Kinofilmen «The Reader», «Baader Meinhof Komplex», «Lila, Lila», «Hell», sowie in der Fernsehserie «Weissensee». Für diese Rolle bekam sie einen Bambi als Beste Schauspielerin.