Was war zuerst, die Fabrik oder die Landschaft darum herum? Solche Fragen stellen sich die Kinder einer Familie aus dem Arbeitermilieu. Ihr Vater (Pierre Oudrey) ist in der Fabrik beschäftigt und empfindet diese wie ein Gefängnis; seine Frau (Sandrine Battistella) fühlt sich im Haushalt eingesperrt. Die Grosseltern (Alexandre Rignault und Rachel Stefanopoli) halten resigniert Rückschau auf eine politisch aktive Vergangenheit.
Godard, der einen Film über diese Familie dreht, erklärt, wie es dazu gekommen ist. Er empfindet sein Schaffen selbst als Fabrik, ist aber Chef und Arbeiter in einer Person. In seiner fiktiven Familie wiederum betrachtet sich die Frau als blosse Maschine in einem Haushalt, der ihr als Fabrik erscheint. Neben ihren häuslichen Pflichten muss sie ihrem Mann auch routinemässig sexuell zu Diensten sein. Und als er eines Tages erfährt, dass sie ihn betrogen hat, missbraucht er sie. Ihren neugierigen Kindern allerdings führen die Eltern sehr ausführlich vor, wie zärtlicher Sex aussehen kann.
Die Finanzierung von «Numéro deux» stammte von Georges de Beauregard, dem Produzenten von «A bout de souffle». Dieser wollte 1975 eigentlich von Jean-Luc Godard ein Remake seines legendären Regieerstlings, gedreht mit den neusten technischen Mitteln. Aber Godards Protagonisten sind diesmal keine coolen Pariser Gangster, keine kessen Bohémiennes, sondern eine Durchschnittsfamilie in einem unansehnlichen Vorstadt-Wohnblock.
Die Entfremdung, die Godard in diesem Haushalt beobachtet, ist für ihn repräsentativ für die Auswirkungen des kapitalistischen Systems. Ohne in platte Propaganda zu verfallen, porträtieren Godard und Anne-Marie Miéville die Frau als «Landschaft», die man zur «Fabrik» gemacht hat. Die Laiendarsteller in «Numéro deux» müssen sich in verschiedener Hinsicht entblössen. Sie verleihen ihren Figuren eine Menschlichkeit, die sie über blosse Illustrationen Godardscher Thesen hinaushebt.
Godard selbst tritt in «Numéro deux» auf als souveräner, selbstbespiegelnder Cineast in seiner eigenen Filmfabrik. Mit seinem verspielten Umgang mit Schrift und Video nimmt der Avantgardist in diesem essayistischen Werk viele Experimente vorweg, die er selbst - und diverse Epigonen - später aufgegriffen und nachgeahmt haben.