Harun Farocki wird fehlen. Neugier und analytisches Talent haben andere auch bewiesen. Aber Harun Farocki vermittelte seine eigene, unnachahmliche Mischung von Faszination und Misstrauen.
Wenn er in den letzten Jahren den «Serious Games» zu Leibe rückte – Computersimulationen für Armeetraining oder für optimale Ladeneinrichtungen –, dann wusste er sein Publikum zu packen. Farocki besass dazu die nötige Begeisterung über das technisch Machbare, das Verspielte. Und er vermittelte zugleich das Grauen und die manipulativen Züge dieser Simulationen.
Welche Macht hat ein Bild?
Farocki setzte sich mit Bildern und ihrer Wirkung auseinander. Für ihn stand schon vor seinem Studium im ersten Jahrgang der Deutschen Film- und Fernsehakademie in Berlin fest: Die Kunst der Inszenierung ist nicht nur am Theater und im Kino zu finden. Sondern täglich in der Realität, in den Medien, in der Architektur.
Kriegsbilder und Propaganda, Wirtschaft und Repräsentation – über allem liegt bei ihm die Faszination und das Misstrauen gegenüber jeglicher Bilderwelt und ihrer jeweiligen Wirkung.
Strategien von Bildern entlarven
Der Einsatz von Bildern war ein wichtiges Thema für Farocki. Er analysierte, wie die Medien Kriegsbilder einsetzen. Und er versuchte herauszufinden, welche Strategien dahintersteckten – von Seiten der Kriegsparteien, aber auch von Seiten der Medien.
Er hat mit der Dokumentation «Schöpfer der Einkaufswelten» nachgezeichnet, wie minutiös Ladenplanungen, Kundenführung, Verkaufsstrategien und der gezielte Aufbau von Erlebnis-Umgebungen funktionieren.
Und nicht nur er war ein Grenzgänger zwischen den Disziplinen. Auch seine Arbeiten wanderten: «Schöpfer der Einkaufswelten» wurde am Theater Basel inszeniert, seine Dokumentarfilme zu «Serious Games» zu einer ganzen Ausstellungskonzeption und seine filmischen Essays immer wieder auch Teile von Installationen.
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Eine Welt, bevölkert von Frauen
Und wenn Harun Farocki als Drehbuchautor mit Filmemacher Christian Petzold zusammenspannte, entstanden Spielfilme wie «Yella» und «Barbara» mit Nina Hoss – Lehr- und Ergründungsstücke um starke Frauenfiguren in unserer eigenen, ureigenen Realität.
Diese Filmgeschichten haben wenig mit Hollywood zu tun, auch wenn sie die gleiche Dramaturgie anwenden und mindestens so unterhaltsam funktionieren: Ihre Figuren leben in einer Welt, die tatsächlich die unsrige repräsentiert (oder die DDR). Eine Welt, die von wirtschaftlichen und politischen, gesellschaftlichen und sozialen Zwängen dominiert wird. Bevölkert ist sie (vor allem) von Frauen, denen das eine oder andere Licht aufgeht.
Er war neugierig, offen und scharfsinnig
Harun Farocki wird fehlen, weil niemand diese gnadenlos charmante Mischung von Neugier, Begeisterung und analytischem Scharfsinn auf die gleiche Weise vor sich her tragen kann. Bei jeder Begegnung war da dieser Mann: neugierig, offen, diskussionsfreudig, freundlich. Immer leicht amüsiert und ironisch – und doch herzlich.
Farocki wusste um die Macht der Bilder. Er bestand darauf, dass man selbst in seinen eigenen Arbeiten der Entlarvung dieser Macht misstrauen sollte. Schliesslich waren das ebenfalls auf Wirkung hin hergestellte Inszenierungen. Und dann lachte er wieder.