«Es isch drum nid nume fürnes paar Schtüngli Büez. Verdinge sölli eine, für gäng.» Vater Kummer gesteht seiner Frau im nächtlichen Ehebett, dass ein Tankstellenbetreiber, in dessen Schuld die Kummers stehen, schon am nächsten Morgen einen der sechs Söhne abholen und in seine Dienste stellen will: Als Gegenleistung winken ein magerer Lohn und ein vorläufiger Aufschub der Schuldzinsen.
Seit der Ausstrahlung von «Die 6 Kummerbuben» im Jahr 1968 ist viel geschehen zur Aufarbeitung der Schicksale von Verdingkindern – besonders in den letzten paar Jahren. Bis in die 1970er-Jahre wurden jedoch zahllose Minderjährige behandelt wie Sklavenarbeiter oder Leibeigene, sie wurden körperlich gezüchtigt, erniedrigt und missbraucht, sie erhielten kaum Nahrung oder schulische Bildung. Viele ehemalige Verdingkinder leiden deshalb bis heute an psychischen Problemen.
Keine zugespitze Dramatisierung
Die TV-Serie «Die 6 Kummerbuben» ist natürlich reine Familienunterhaltung in der Tradition des Schweizer Heimatfilms. Die Problematik wird nicht in ihrer tragischen Zuspitzung geschildert, sondern in einer viel milderen Form. Den Kummers wird kein Kind von einer Behörde entzogen und fremdplatziert – es obliegt den Eltern, ob sie aus finanzieller Not zu dieser Massnahme greifen wollen.
Nachdem die Kummers die Herausgabe eines Sohns in einem ersten Anlauf verweigern und damit ihren Gläubiger verärgern, entschliesst sich letzlich einer der Söhne selbst, den Verdingdienst anzutreten. Pflichtbewusst und fleissig arbeitet er in der Tankstelle des Gläubigers, sehr zur Zufriedenheit seines Arbeitgebers, während der Vater Kummer mit dem Lehrer die Rechtslage des Sohnes berät.
Frühe kritische Stimmen
Eine derartige Darstellung der Verdingpraxis ist aus heutiger Sicht schwer nachvollziehbar. Schwieg man in den 1960er-Jahren, als die Serie entstand, zu den zahlreichen Missbrauchsfällen in diesem Zusammenhang? Wurde das Verdingen von Kindern in der Öffentlichkeit als soziale Realität akzeptiert? Oder wurde das so gezeigt, weil die «Kummerbuben»-Romanvorlage aus den frühen 1940er-Jahren stammt?
«Kritik an der Fremdplatzierungspraxis oder Aspekten davon gab es schon zuvor, etwa bei Jeremias Gotthelf und bei Carl Albert Loosli», sagt Historikerin Loretta Seglias dazu. «In den 1930ern und 1940ern kamen sogenannte Sozialreportagen, etwa des Fotografen Paul Senn und des Journalisten Peter Surava hinzu, die über bestehende gravierende Missstände berichteten.»
Politischer Druck ab den 1940er-Jahren
Zum Regisseur
Inwieweit bemühten sich Politik und Gesetz um eine Besserstellung dieser Kinder? Loretta Seglias: «Versuche um eine verbesserte Kontrolle und Aufsicht gestalteten sich nach dem föderalen Prinzip in den einzelnen Kantonen unterschiedlich. Im Verlauf des 20. Jahrhunderts wurden immer mehr Pflegekinderverordnungen in Kraft gesetzt, die Umsetzung indes war vielfach mangelhaft.» Verlässliche Zahlen dazu, wie viele Kinder und Jugendliche nicht bei ihren leiblichen Eltern aufwuchsen, würden fehlen, sagt die Historikerin weiter. Unter Berücksichtigung einer hohen Dunkelziffer sei aber von mehreren hunderttausend Betroffenen auszugehen.
Seglias fügt hinzu: «Die individuellen Bedürfnisse der von einer Fremdplatzierung betroffenen Kinder und Jugendlichen standen lange Zeit kaum im Fokus behördlicher und privater Praxis. So beschreiben Betroffene unter anderem den fehlenen Familienanschluss in der Pflegefamilie, oder die Trennung von der leiblichen Familie als sehr schwierig. Viele haben den Kontakt zu Eltern und Geschwister für lange Zeit oder für immer verloren.» Auch diese Problematik wird in «Die 6 Kummerbuben» aufgegriffen: Schon Vater Kummer war in seiner Kindheit verdingt worden, hat daher seine Halbgeschwister kaum kennengelernt. Das holt er in der TV-Serie allerdings nach.