Zum Inhalt springen
Schlange mit Menschen am Bundeshaus mit Kartons voll Unterschriften.
Legende: Die direkte Demokratie am Werk: Die SVP liefert Unterschriften im Bundeshaus ab. Keystone

Film & Serien Hat das Volk immer recht?

Der Dokumentarfilm «Die Demokratie ist los» zeigt, wie im benachbarten Ausland an Abstimmungssonntagen auf die Schweiz geschaut wird: oft mit Be-, manchmal aber auch mit Verwunderung. Der Regisseur Thomas Isler fragt, ob der Volkswille über allem stehen soll.

Mit Faszination verfolgen die europäischen Nachbarn, wie die Schweizerinnen und Schweizer sich für oder gegen diese oder jene Initiative aussprechen. Doch können wir uns wirklich so glücklich schätzen?

In letzter Zeit machten Volksentscheide immer wieder Probleme: Es gab Initiativen, die sich gar nicht umsetzen lassen, da sie grundlegende Menschenrechte verletzen. Oder sie verstossen gegen international eingegangene Verträge, von denen man nicht einfach zurücktreten kann. Die Bundesverfassung, die den Rahmen für Gesetzänderungen abstecken soll, wird so langsam zur Baustelle.

Wahlkampf statt Lösungssuche?

Der Filmemacher Thomas Isler hat diese Volksabstimmungen zum Gegenstand seines neuen Films gemacht. Er betrachtet eine Reihe aktueller Volksentscheide, die europaweit für Aufsehen sorgten: die Minarett-Initiative etwa, oder die sogenannte Masseneinwanderungsinitiative der SVP, die völkerrechtliche Verträge in Frage stellt.

Isler befragt Politiker und Experten, Kritiker wie Befürworter eines absoluten Volkswillens. Mit dem Mittel der Volksbefragung würden irrationale Ängste geschürt, sagt Philippe Mastronardi, emeritierter Professor für Staatsrecht. Es stehe keine verfassungskonforme Lösung im Mittelpunkt, sondern der Wahlkampf. Wer kontroverse oder vermeintliche Tabu-Themen aufs Tapet bringe, könne bei der eigenen Wählerschaft punkten.

Fragwürdige Bewunderung

Isler blickt in seinem Film auch über die Landesgrenzen, wo die Idee der direkten Demokratie zahlreiche Anhänger findet. In Deutschland wird seit «Stuttgart 21» immer wieder dafür plädiert, sich am Schweizer Vorbild zu orientieren. Die Bewunderung für das Schweizer System kommt zuweilen aber auch aus fragwürdigen Ecken.

Mann vor deutschem Bundestag mit Schrift: Volksentscheid - bundesweit.
Legende: In Deutschland wird über die Einführung vereinfachter Verfahren zum Volksentscheid debattiert, die Schweiz ist Vorbild. Cineworx

Erschreckend gross ist der Beifall aus antiislamischen Kreisen in Deutschland, Österreich und Frankreich, dem Geburtsland der Menschenrechte. Dort bringt Gilbert Collard, Vertreter des rechtsextremen Front National, populistisch jedes Thema auf den Punkt und schmeichelt dem Volkssouverän mit Parolen wie «Wenn ein Stein im Schuh drückt, dann muss man ihn entfernen. Und im Gegensatz zur parfümierten Elite habe ich keine Angst vor dem Fussschweiss des Volkes».

«Auf ewige Zeiten wollen wir keine fremden Richter über uns haben», sagt Alt-Bundesrat Christoph Blocher im Film. Regisseur Isler hingegen ist überzeugt: Wo keine fremden Richter geduldet werden sollen, droht die Diktatur einer Stimmenmehrheit, die sich als Volkswillen ausgibt.

Auf der Verliererseite

Thomas Isler macht keinen Hehl daraus, dass er bei den Volksentscheiden zugunsten der SVP jeweils auf der Verliererseite steht. Dass das Verlieren aber zu den Spielregeln einer funktionierenden Demokratie gehört, steht für den Regisseur ausser Zweifel.

Isler versucht, fair zu bleiben. Er betreibt Aufklärung statt Polemik. Der Film «Die Demokratie ist los» bietet eine nüchterne, stellenweise ernüchternde Analyse der Schweizer Politlandschaft.

Kinostart: 3.9.2015

Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 1.9.2015, 17.06 Uhr

Meistgelesene Artikel