Innenarchitektin Erika hat ihr Leben im Griff. Beruf, Einkommen, Mann und Familie: alles nach Plan. Selbst der Termin für den Kaiserschnitt steht fix im Kalender. Aber dann hat sie eine Frühgeburt, das Kind ist behindert und Erika dreht durch. Keine Spur von Mutterliebe, sie kann das alles nicht akzeptieren.
Sie wolle ein anderes Leben, sagt sie. Aber damit kann niemand etwas anfangen. Am wenigsten ihr Mann, der sich um das Kind kümmert.
Manchmal amüsant, manchmal beklemmend
Fast wie im Halbschlaf absolviert Erika ihre Gruppentherapie-Sitzungen. Bis eine andere junge Frau das Gleiche formuliert: Auch sie hätte gern ein anderes Leben. Und zwei weitere Patienten stimmen ein. Ein Leben wie ein Hotel: Passt einem das Zimmer nicht, nimmt man sich ein anderes.
Und genau das versuchen sie dann. Die drei Frauen und zwei Männer buchen sich in verschiedene Hotels ein und spielen dort andere Leben. Das ist manchmal komisch. Etwa, wenn einer versucht, Schmerzen auszuhalten wie ein Maya-Indianer und sich dafür von den anderen an Seilen strecken lässt. Bis er brüllt vor Schmerz – und sich dann wundert, dass sie aufhören.
Viel häufiger aber ist der Film beklemmend. Denn die ungeführten Therapie-Experimente, welche die Fünf miteinander durchspielen, gehen immer wieder über alle Grenzen der Vernunft hinaus.
Inkonsequent – und das ist gut so
Und genau darin liegt für einmal die grosse Stärke dieses Film: Er ist inkonsequent. Er führt nicht jeden Gedanken zur schlimmst möglichen Wendung. Regisseurin Lisa Langseth, die vom Theater kommt, nutzt die Szenen viel mehr als Startrampen und Versuchsorte.
Manches leuchtet ein, etwa, wenn der Mann mit den Mutterkomplexen sich ausgerechnet von jener Erika bemuttern lässt, die darunter leidet, dass sie ihr unvollkommenes Muttersein nicht akzeptieren kann.
Anderes bleibt krude und bloss angedacht. Zum Beispiel die Verneigung vor dem Dogma-Pionierfilm «Festen», wenn sich die auto-therapierende Fünferbande unter eine Hochzeitsgesellschaft mischt. Oder für die einsame Perlina einen schnellen Sexpartner organisiert.
Auf dem Sprung zum Star
Aber alles in allem ist «Hotell» ein mutiger Film, weil er genau das umarmt, was seine Heldin für nicht akzeptierbar hält: Die Unvollkommenheit.
Und wem das noch nicht genügt, um sofort ins Kino zu gehen: Die 25-jährige Hauptdarstellerin Alicia Vikander ist nach ihren Rollen in «Anna Karenina» und «A Royal Affair» auf dem Sprung zum internationalen Star – es könnte lange dauern, bis wir sie wieder in einem derart rohen und faszinierend unperfekten Film zu sehen bekommen.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur kompakt vom 11.6.2014, 6:45 Uhr