Unheimliche Musik, ein Haus mit geschlossenen Fensterläden, ein verwilderter Garten. Die Haustür öffnet sich wie von selbst für die Kamera und schon fällt der Blick auf die ersten von Gigers Biomechanoiden, schwarzweiss auf die Innenwände gesprüht.
Wie ein sterbendes Budda-Monster
Die Westschweizer Dokumentarfilmerin Belinda Sallin nimmt den Untertitel ihres Filmes wörtlich. Wir betreten HR Gigers Welt, das Haus bei Zürich, in dem er den grössten Teil seines künstlerischen Lebens verbracht hat. Ein Haus, das einen zu verschlucken scheint wie ein lebendes Grab.
Es ist voller Bilder, Skulpturen, Bücher und Papier. Voller Erinnerungen. Und mitten drin, barfuss und gezeichnet von Alter und Krankheit, der Mann, der sich diese Bilderhöhle eingerichtet hat. Giger wirkt in seiner Lebenshöhle wie ein Teil seiner eigenen Schöpfung, ein sterbendes Buddha-Monster.
Geliebte Menschen und Katzen
Im ersten Moment wirkt dieser horrorfilmmässige Anfang auch darum befremdlich für einen Dokumentarfilm. Zu einfach. Zu billig. Aber im Verlauf der 95 Film-Minuten erschliesst sich das Konzept der Regisseurin. Die Einführung in HR Gigers Welt gelingt.
Sie gelingt darum, weil neben den Bildern und den Skulpturen vor allem Menschen sprechen, etwa Gigers dritte Frau Carmen Maria, die ihm eine extreme Feinfühligkeit attestiert. Ebenso wie frühere Partnerinnen, aber auch seine Freunde und Mitstreiter aus der Anfangszeit. Jene Menschen, von denen der offensichtlich schwer kranke Künstler umgeben ist.
Da die omnipräsenten Katzen im Haus. Bis zur aktuellen Müggi III. Und natürlich die Ausschnitte aus früheren Filmen: Alles fügt sich zusammen zu einem Leben, das im Rückblick logischer und konsequenter wirkt, als man es je vermutet hätte.
Beiträge zum Thema
- HR Giger – Magier der phantastischen Kunst (Berg&Geist, 13.05.14)
- HR Gigers Vermächtnis (10vor10, 13.05.2014)
- HR Giger, was ist ein Künstler? (aus Karussell,11.9.1978)
- Retrospektive HR Giger in Paris (10vor10, 16.9.2004)
- HR Gigers Museum in Greyerz (Geoportal Spezial, 20.05.1999)
- Portrait HR Giger und Gratulation zum Oscar (Karussel,15.4.1980)
Vom Apothekersohn zum Design-Star
Der Apothekersohn aus Chur, der als Spätsurrealist zuerst zum Insidertipp der Avantgarde wurde. Dann mit seinem Filmmonster «Alien» (1979) zum Design-Star der Poster- und Albumcover-seligen 1980er-Jahre. Und damit gleichzeitig zum vorübergehenden Pariah der Kunstwelt – denn der hochpreisgetriebene Kunstmarkt war damals noch nicht etabliert, wie der Österreicher Fotograf und Kurator der Linzer Giger-Ausstellung, Andreas J. Hirsch, im Film einleuchtend anmerkt.
Dabei sind es weniger die doch sehr einfachen Motivdeutungen, etwa jene des Psychiaters Stanislav Grof, welche das Leben des kindlich-besessenen Künstlers greifbar machen, als die vielen Erinnerungen der Menschen aus seinem Umfeld, die ihn und seine Kunst offensichtlich immer als Einheit begriffen haben. Und natürlich Hansrudolf Gigers eigene Aussagen.
Ein Freund vergleichbar kindlicher Seelen
Es ergibt sich das Bild eines Menschen, der sich seine Ängste von der Seele malte, besessen und unermüdlich, und gleichzeitig – oder vielleicht gerade darum – eine kindliche Seele geblieben ist, der geliebte Sohn der geliebten Mutter, der Mann und Partner etlicher sehr mütterlicher Frauen. Und der lebenslange Freund vergleichbar kindlicher Seelen.
«Dark Star – HR Gigers Welt» ist zum Nachruf geworden und geht vielleicht auch darum sehr liebevoll mit seinem Sujet um. Aber wie jeder gute Dokumentarfilm enthält auch dieser zusätzlich die Fragen, die er nicht ausdrücklich stellt. Und Spuren der Antworten darauf.