Los Angeles, 1968. Ein Blumenkind drückt einem bärenhaft ausschauenden Jungfilmer einen «Nirvana Now»-Button in die Hände. Der Bär kratzt so lange am Friedenssymbol, bis nur noch die Umrisse eines B-52-Bombers zu sehen sind. Dann streicht er «Nirvana» durch und schreibt «Apocalypse» drüber. Ein Filmtitel für die Ewigkeit ist geboren.
Der bullige Filmstudent ist John Milius, konservativer Anarchist und personifizierter Albtraum des liberalen Hollywood-Establishments. Die NRA (National Rifle Association) wird er später auch noch führen, denn eigentlich wollte der Querkopf mit Surfer-Vergangenheit General werden. Als ihm aber sein Asthma die Teilnahme am Vietnamkrieg verunmöglichte, wählte er den Job des Regisseurs, der seiner Ansicht nach gleich unter jenem des Generals rangiert.
«Charlie don’t surf!»
Obwohl heute kaum mehr einer John Milius kennt – seine Quotes wie «Charlie don’t surf!» , «I love the smell of Napalm in the morning» («Apocalypse Now») oder «Go ahead, make my day» («Dirty Harry – Magnum Force») bleiben. Sie garantieren der mythenumrankten Persona Milius eine gewisse Präsenz in popkulturellen Zusammenhängen.
Im Gegensatz zu seinen Ex-Kollaborateuren Steven Spielberg oder Francis Coppola ist der Filmemacher Milius heute jedoch so gut wie unsichtbar. Dazu sein Biograph Rich Cohen: «Als Geschichtenerzähler ist John Milius einer der grossen Mythologen seiner Dekade. Doch mit seinem Werk verhält es sich wie mit jenem Gottes oder des Teufels: Glaubst du nicht, so wirst du seine Spur nirgends sehen. Der Gläubige hingegen wird seine Handschrift in jeder Schneeflocke, in jeder Träne, in jedem Sandkorn finden.»
Ode an die 45er
Über Milius kursieren, nicht erst seit er in den späten 60er-Jahren mit Drehbüchern Furore machte, die wildesten Gerüchte. Auf George Lucas machte Milius solchen Eindruck, dass Lucas bereits 1973 die Figur des John Milners in «American Graffiti» nach dem exzentrischen Kollegen formte.
Milius hat den Outsider-Mythos immer schon fleissig mit Anekdoten und Gerüchten gespiesen. Beispiele: Er habe auch schon mal die Pistole auf seine mit Drehbuchänderungen beschäftigten Produzenten angesetzt, als ersten Entwurf zu «Dirty Harry» habe er ein Gedicht auf die 45er-Magnum abgeliefert und als Bezahlung für sein Western-Script «Jeremiah Johnson» (1972) habe Milius darauf bestanden, die für den Film zu erlegenden Tiere selbst abschiessen zu dürfen.
Hippie-Schreck
1998 machten sich zwei andere grosse Geschichtenerzähler, die Brüder Joel und Ethan Coen, dieses Narrentum zunutze. Sie schufen Jeff «the Dude» Bridges‘ bärbeissigen Kumpan Walter Sobchak (John Goodman) in «The Big Lebowski» nach dem Vorbild ihres Freundes John Milius. So findet er sich in diesem Kultfilm verewigt als aufbrausenden Knarren-Fanatiker und Vietnamkriegs-Apologeten, der mit seinen Hirngespinsten und seinem blindwütigen Aktionismus selbst den bekifftesten Hippie an den Rand des Wahnsinns treibt.
Ein schmales Oeuvre als Regisseur
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Weil er als Drehbuchautor wenig Einfluss auf die eigentliche Filmerei nehmen konnte, wollte Milius immer auch schon Regisseur sein, um wenigstens hinter der Kamera General spielen zu können. Entstanden ist ein schmales Oeuvre, aus dem zwei Regiearbeiten hervorstechen: «Conan der Barbar» (1982) und «Big Wednesday – Tag der Entscheidung» (1978).
Er insistierte auf Arnold Schwarzenegger als Conan, so schuf Milius Hollywood 1982 eine Projektionsfläche mit Hit-Potenzial. Indem er auf alles Hippie-Feen-Hobbit-Gerümpel verzichtete und sich auf aufgeblasene Körper sowie hyperrealistische Action konzentrierte, ermöglichte er Schwarzenegger, sein Manko (sprich: seine fleischgewordene Einfalt) zum stahlharten Mythos umzudeuten. Die steirische Eiche war geboren.
Die allermächtigste Welle: erhaben und lächerlich
Man würde es nicht glauben, aber es gibt auch die intimen Momente im Werk von John Milius. Beispielsweise im Surferepos «Big Wednesday – Tag der Entscheidung». Milius, als junger Mann ein begnadeter Surfer, ist Insider jener Szene, die im Zentrum dieses Films steht. So ist «Tag der Entscheidung» nicht nur ein Abgesang auf die Jugendkultur der 60er-Jahre, sondern vielmehr auf die eigene Vergangenheit als rebellischer Jugendlicher, von der sich Milius – wie sein ungebrochen antibürgerlicher Habitus zeigt – nie wirklich verabschiedet hat.
Dem Pathos, mit dem Milius im Film seine drei desillusionierten Surfer schliesslich in die allerletzte, allermächtigste Welle schickt, um ihre Jugend zum Mythos zu erheben, haftet gleichzeitig etwas Rührendes, Lächerliches wie auch Erhabenes an.
Ein Gefangener der eigenen Persona
«Big Wednesday» aber blieb die Ausnahme, denn bei den meisten seiner Filme als Regisseur zeigte sich, dass Milius ein Gefangener der von ihm selbst geschaffenen Persona ist. Filmemacher Oliver Stone meint dazu im Dokumentarfilm «Milius» von 2013 vielsagend: «Ich mag John dafür, dass er immer sagt, was er denkt, obwohl ich mir nicht ganz sicher bin, ob er denkt, wenn er etwas sagt.»
Es erstaunt nicht, dass Milius seine besten Momente immer dann hatte, wenn das von ihm erdachte Material durch die Hände wirklich grosser Filmemacher wie Don Siegel («Dirty Harry»), John Huston («Life and Times of Judge Roy Bean»), Francis Coppola («Apocalypse Now»), Steven Spielberg («Jaws»), Sidney Pollack («Jeremias Johnson») oder Walter Hill («Geronimo») ging. Denn nur wenn die Einfältigkeit des Mythenerschaffers gebrochen wurde, sein pathosgeschwängertes Machotum ins Zwiespältige, Ambivalente, Wehmütige kippte, entstand tatsächlich auch grosses Kino.