Joel Basman, mit 14 Jahren standen Sie erstmals vor der Kamera – für «Lüthi und Blanc». Welche Erinnerungen haben Sie an Ihren allerersten Drehtag?
Ich fuhr mit dem Zug nach Glattbrugg zum Aufnahmestudio. Dort holte mich Fahrer Magnus ab. Für mich damals als Filmneuling eine surreale Situation. Auf dem Set waren wir wie eine Familie. Produzent Peter-Christian Fueter war für mich wie ein Papi. Nach jedem Gespräch mahnte er mich: «Junge, heb nicht ab». Seine Worte begleiten mich bis heute.
Heute, mit 25 Jahren, ziehen Sie schwierigere Rollen vor: vom Autisten über den Drogenabhängigen bis hin zum Nazi. Was reizt Sie an solch‘ düsteren Gestalten?
Es ist keineswegs, dass ich nur seltsame Figuren spielen möchte. Vielmehr sind es die Drehbücher, die mir zugeschickt werden und die mich für eine Rolle vorschlagen. Wenn mich ein Drehbuch umhaut, will ich ein Teil davon sein. Es sind Profis, die mich in ein solches Drehbuch hineinprojizieren – und damit muss ich leben.
Es gibt Schauspieler, die immer wieder in gleichartigen Rollen zu sehen sind. Vielleicht auch, weil sie darin besonders gut sind.
Ich verstehe, dass das unglaublich nervig sein kann, nicht mehr von einer Rolle wegzukommen. Ich selbst hatte noch nie das Gefühl, ich spiele eine Rolle zweimal. Wenn ich zweimal einen Junkie spiele, sehe ich Unterschiede: Ein Crystal-Meth-Junkie ist nicht ein Heroin-Junkie. Das sind zwei verschiedene Hintergründe, zwei ganz andere Geschichten.
Die meisten Künstler sind Menschen, die sich nicht im Gesellschaftssystem integrieren.
Sie tauchen in Welten ein, in die ich nicht eintauchen wollte. Rollen wie Amokläufer, Terrorist oder Nazi – geht das nicht auch an die eigene Substanz?
Auf dem Set bin ich sehr von meiner Rolle eingenommen. Doch mit dem Drehschluss ist es mein Ziel, wieder mich selbst zu sein. Es gibt ein paar Regeln, die ich einhalte. Wenn ich jemanden spiele aus einer Zeit, in der es noch keine Computer gab, kein Netflix oder Google, lasse ich meinen Computer nach Drehschluss ausgeschaltet. Stattdessen folge ich einem Hörspiel.
Ihr Grossvater war einst vor den Nazis aus Lettland nach Palästina geflüchtet. Ihr Vater ist jüdisch, Sie sprechen Hebräisch und reisen einmal im Jahr nach Israel. Wie verändert Sie das, wenn Sie während mehrerer Drehtage oder –Wochen einen Nazi spielen?
Der Typ, den ich im Film «Unter dem Sand» spiele, sabotiert, ist wütend und frustriert. Nach Drehschluss merkte ich schon, dass ich viel mehr zugelassen habe, viel mehr Aggression, aber auch viel mehr rausgelassen habe. Beim Drehen tut das gut, das ist wie eine Therapie. Aber ich merkte, dass sich mein Gehirn auf diese neue Situation einstellte. Ich wurde schneller unruhig. Aber es war nicht so, dass ich plötzlich fremdenfeindlich wurde oder das Gefühl hatte, ich müsste eine Naziflagge aufhängen. Für mich bleibt das mehr Spiel als Realität.
«Ziellos» erzählt vom 19-jährigen Pascal, einem notorischen Querschläger, der verzweifelt nach Orientierung sucht und scheitert – mit fatalen Folgen für ihn und die Welt um ihn herum. Orientierungslosigkeit gehört ein bisschen zur Jugend. Inwiefern haben Sie sich an Ihre eigene Jugend erinnert?
Absolut – und dieser Orientierungslosigkeit sollte man auch Platz lassen, zumindest bis zu einer bestimmten Grenze. So unrealistisch es auch tönt, aber ich wusste schon als Jugendlicher, dass ich Filmschauspieler werde. Meine Hürde war, dass für die Schauspielschule eine Matur verlangt war, die ich nicht habe. Warum es für Kultur eine Matur braucht, verstehe ich bis heute nicht. Die meisten Künstler sind Menschen, die sich nicht im Gesellschaftssystem integrieren konnten oder wollten. Meine Eltern haben an mich geglaubt, obwohl alle sagten, ihr Sohn müsse eine Lehre machen. Heute kann ich mir nichts anderes mehr vorstellen, als Filme zu drehen.
Wer will schon Bond sein, Bond ist doch langweilig! Die wahren Bonds sind die Bösewichte.
Wenn Sie in die Filmgeschichte zurückblicken, welche Rolle würden Sie gerne spielen?
Den Bond-Bösewicht, ich liebe diese Filme wegen der Bösewichte. Benicio Del Toro, Mads Mikkelsen und Javier Bardem verkörperten sie. Wer will schon Bond sein, Bond ist doch langweilig! Die wahren Bonds sind die Bösewichte. Sie sind genial, unrealistisch und übertrieben, eine Traumrolle!
Sie haben mit den ganz Grossen von Hollywood gespielt, mit George Clooney oder Cate Blanchett. Was haben Sie von diesen Begegnungen für sich mitgenommen?
Bill Murray war der Erste, der auf mich zugekommen ist. Er lud mich in seinen Trailer ein und zeigte mir Yogaübungen. Wir haben die Szene gespielt und gingen danach essen. Was ich mir abschauen konnte ist, dass sie extrem entspannt sind. Die haben es geschafft, können ihren Beruf ausüben, wie sie wollen, mit wem sie wollen, wo und wann sie wollen. George Clooney, Matt Damon, Ben Affleck und Brad Pitt sind in Cliquen organisiert – etwa so wie das «Brat Pack», damals eine Schauspielergeneration der 1980er, die sich in Cliquen-Filmen etablierte.
Welchen Eindruck hatten Sie von Hollywood?
Ich glaube Hollywood ist auch gefährlich. So hoch wie du fliegen kannst, so tief kannst du auch fallen, wenn du dich mit dem Falschen anlegst. Ich wage zu behaupten: Hollywood ist Lobbying und Cliquen, die zusammen oder gegeneinander arbeiten. Da willst du nicht an die falsche Adresse geraten. Falls du es doch tust, bist du der Letzte, der erfährt, dass es nicht mehr weitergeht mit dir.
Das tönt schon fast nach einer Hollywood-Mafia.
Es geht hier um viel mehr Ansehen und Geld, um Millionen und Abermillionen, über die eine Reihe von Leuten entscheiden. Das sind keine Verschwörungstheorien. Diese Namen sind bekannt: Das sind Produzenten und Studiobosse, die sich im Hintergrund halten, aber die Puppen tanzen lassen.
Welcher Dreh steht als nächstes in Ihrem Kalender?
In drei Wochen bin ich als Rainer Maria Rilke am Set. Rilke hatte stahlblaue Augen – ich werde also Kontaktlinsen tragen. Regisseur Christian Schwochow produziert einen Film über die Ausnahmekünstlerin Paula Modersohn-Becker, die ihren Durchbruch Anfang des 20. Jahrhunderts mit einem Selbstakt schaffte. Rilke war unsterblich in sie verliebt, doch sie wollte ihn nicht.
Dieser Artikel erschien ursprünglich bei 3sat.de.