Ein alter Bauer, der seine Schafzucht auflöst, um seiner Tochter bei der Finanzierung eines Hauses zu helfen – das allein klingt noch nicht nach einer packenden Geschichte. Dass «Le démantèlement» aber dennoch einen richtiggehenden Sog entwickelt, hat mit dem eindrücklichen Hauptdarsteller zu tun: Gabriel Arcand. Und auch mit der grossen Finesse und der menschlichen Wärme, die der kanadische Autor und Regisseur Sébastien Pilote in sein Projekt gesteckt hat.
Der 40-jährige Regisseur interessiert sich allgemein für Dinge, die er in der Gesellschaft wegbröckeln sieht, wie etwa hier das Kleinbauerntum. Bereits sein Spielfilmerstling «Le vendeur» (2011) drehte sich um einen Autohändler alter Schule, dessen Firma schliessen musste. «Mein letzter Film handelte von einem Konkurs. Dieser hier erzählt nun von dem, was danach kommt: dem Ausverkauf», sagt Sébastien Pilote im Interview. «Dazu zog es mich aufs Land, denn viele Bauern leiden darunter, dass niemand ihr berufliches Erbe antritt.»
Inspiration von Balzac und Shakespeare
Inspiration fand Pilote allerdings nicht nur im realen Leben, sondern auch in der Literatur, namentlich in Honoré de Balzacs «Père Goriot». Dazu der Regisseur: «Ich weiss nicht mehr, wie ich zum Roman kam, aber er erwies sich als ein Glücksfall. Ich fand darin alles, was ich erzählen wollte.» Konkret fand Pilote bei Balzac eine überzeugende Mixtur aus offener Gesellschaftskritik und einem durch Generationskonflikte geprägten Familiendrama, das er sehr freizügig für seine Zwecke angepasst hat.
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Dabei habe er sich bei Shakespeares «King Lear» bedient, erklärt Sébastien Pilote. Der Schafzüchter Gaby Gagnon hat zwei Töchter, die allerdings beide mit dem Landleben abgeschlossen haben. Die ältere Tochter kommt nur zu Gaby zurück, weil sie Geld für ihre eigene Familie braucht. Die jüngere Tochter ist derweil eine rein selbstfixierte Natur.
Pilote: «Als Zuschauer mag man die jüngere Tochter besser, weil sie zu gefallen weiss. Die ältere Tochter hingegen nimmt man als ausbeuterisch wahr, weil sie den Vater zum Verkauf überredet. Man möchte die beiden in gut und böse einteilen können, wie bei Lear. Aber so einfach ist das nicht.»
Aufopferung oder Aufbruch
Bauer Gaby gibt also selbstlos sein Lebenswerk auf, um seinen Kindern zu helfen. «Interessanterweise ist das Publikum in dieser Frage gespalten», freut sich Pilote. «Die einen finden es traurig, dass Gaby alles verscherbelt, was ihn ausgemacht hat. Die andern sehen darin einen Befreiungsschlag. Denn auch er hat den Hof von seinem Vater geerbt und war jahrzehntelang daran angekettet wie ein Hund. Jetzt kommt er endlich zum Atmen.»
So oder so betrachtet ist «Le démantèlement» ein herzerwärmender, lebensbejahender Film mit sanfter Musik und bildschönen Naturaufnahmen – der mit leisem Humor und einer grosszügigen Prise Melancholie eine rührende Geschichte erzählt, die sich so oder ähnlich auch öfters in Schweizer Dörfern zutragen dürfte.