Es beginnt an einem Flughafen. Eine Frau holt einen Mann ab. Die beiden haben bereits Blickkontakt, aber eine Glasscheibe hindert sie am verbalen Austausch. Die Art und Weise, wie Asghar Farhadi diese Szene einfängt, macht dem Publikum sofort klar: Das ist bildlich zu verstehen. Hier wird ein vertrautes Paar gezeigt, das noch immer miteinander kommunizieren kann, obwohl es von einer unsichtbaren Kraft daran gehindert wird.
Die Reise zurück
Auf dem Flughafenparkplatz steigen die beiden kurze Zeit später in ihr Auto. Man entnimmt dem jetzt angebrochenen Gespräch, dass die sich die beiden lange nicht mehr gesehen haben, aber eine frühere Intimität teilen.
Sie schaltet den Rückwärtsgang ein; es kommt um ein Haar zu einer Kollision. Schon wieder denkt man sich: Das ist symbolisch gemeint – die gemeinsame Reise zurück könnte für diese beiden Personen schmerzlich enden. Und prompt bestätigt der Regisseur diese Vermutung, indem er unmittelbar nach dem Beinahe-Zusammenstoss den Titel seines Films einblendet: «Le passé».
Symbolismus des Alltags
Farhadi hat das Publikum in den ersten Minuten gekonnt mit seinem Thema vertraut gemacht – der Vergangenheitsbewältigung – aber auch mit seinem Stil, den man einen Symbolismus des Alltags nennen könnte: Was auch immer seine Figuren gerade tun, wo auch immer sie sich befinden – stets stecken sie in visuellen Entsprechungen ihres seelischen Zustands oder ihrer Absichten.
Zugegeben, Farhadi strapaziert diese Methode bisweilen – etwa wenn ein Mann, der offensichtlich um Konfliktabbau bemüht ist, sich vor den Augen der betroffenen Personen daran macht, einen verstopften Abfluss zu reinigen. Da fragt man sich schon fast, ob das jetzt eine Pointe sein soll – gewitzt ist es auf jeden Fall. Meistens sind jedoch diese symbolischen Verweise diskret genug angelegt, um nicht vom ziemlich dramatischen Geschehen des Films abzulenken.
Komplexe Beziehungen
Der Mann und die Frau, die wir eingangs kennengelernt haben, sind wie vermutet früher einmal ein Paar gewesen, sie heissen Marie und Ahmad. Die beiden haben allerdings nicht vor, ihre Beziehung aufzuwärmen: Sie hat ihn lediglich hergebeten, damit er die längst beschlossene Scheidung amtlich bestätigt.
Doch eben: Alte Wunden reissen auf. Und zwar nicht nur bei Marie und Ahmad. Da sind auch noch Maries zwei Töchter – Ahmad ist nicht ihr Vater –, die sich von ihrer Mutter entfremdet haben. Da ist Maries neuer Lebensgefährte, dessen Frau nach einem Selbstmordversuch im Koma liegt, samt seinem kleinen Sohn, der die Welt ebenfalls nicht mehr versteht.
Zusätzliche Personen stossen dazu, und mit jeder Person entsteht mindestens ein weiterer Konflikt. Alle haben hier ihr Kreuz zu tragen. Und ausgerechnet Ahmad, der nach seiner Unterschrift auf den Scheidungspapieren eigentlich wieder abfliegen könnte, entwickelt sich dabei zum Schlichter und Katalysator.
Verschiedene Perspektiven
Farhadi betreibt eine gezielte Anhäufung von Konflikten und dramatischen Wendungen, und längst nicht alles davon ist frei von Klischees.
Doch in der zweiten Hälfte des Films wird klar, was der Autor seinem Zuviel an Handlungselementen anstrebt: Er bezweckt kein blosses Aufrechterhalten der Spannung, sondern einen multiperspektivischen Blick auf die verschiedenen Problemsituationen.
Je länger der Film dauert, desto besser versteht man die Beweggründe aller beteiligten Streitparteien, weil man Stück für Stück in deren schmerzliche Vergangenheit – eben deren «passé» – eingeweiht wurde. Und so wünscht man sich dann auch nichts sehnlicher als eine allseitige Versöhnung.