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Film & Serien «Like someone in Love»: Das Callgirl und der alte Professor

Der iranische Regisseur Abbas Kiarostami hat «Like Someone in Love» in Japan gedreht, mit japanischen Schauspielern - ohne selber ein Wort Japanisch zu sprechen. Entstanden ist ein sorgfältig gemachter, starker Film mit ausgefeilten Dialogen.

Seinen letzten grossen Film, «Copie conforme» hat der iranische Starregisseur Abbas Kiarostami mit Juliette Binoche in Italien gedreht. Binoche spielte eine Frau, die eine Ehefrau spielte, auf einem Ausflug mit einem Autor. So lange, bis niemand mehr wusste, ob das Spiel im Film nun ein Spiel war oder verspielte Realität.

Nun hat der Iraner sein Identitätsspiel in Japan weitergespielt. Mit japanischen Schauspielern, deren Text er nicht verstehen konnte – aber bestens kannte. Schliesslich hat er die Dialoge selber geschrieben und übersetzen lassen.

Eine seiner drei Hauptfiguren ist Takashi (Tadashi Okuno), ein 80jähriger Professor. Der bestellt sich die 20jährige Akiko (Rin Takanashi), eine Callgirl-Studentin, in die Wohnung – wie es aussieht, vor allem, um für jemanden kochen zu können.

Keine Eindeutigkeiten

Der Film beginnt in einem Lokal, in dem verschiedene Männer und Frauen miteinander reden. Auch Akiko ist da, sie bekommt einen Anruf, offenbar von ihrem Freund Noriaki, der wissen will, wo sie sei. Sie redet sich heraus. Man darf annehmen, dass das Lokal die Drehscheibe der Callgirl-Organisation ist.

Akiko ist liebenswürdig und plaudert mit dem alten Mann, will dann aber schnell ins Bett, weil sie müde ist und am nächsten Tag Prüfungen hat. Er lässt sie alleine schlafen und fährt sie am Morgen zur Uni. Bloss um dort auf den eifersüchtigen Freund zu stossen, der ihn allerdings für Akikos Grossvater hält. Und Takashi spielt mit, ohne zu lügen, mit der Raffinesse und Abgeklärtheit seines Alters.

Kein Film für den Westen?

Die erste und grösste Stärke dieses Films besteht darin, dass wir uns dauernd fragen, wer diese Leute sind, was sie tun, und wie sie zueinander stehen. Denn da ist nichts völlig fixiert, wie sich herausstellt. Das Spiel mit Erzählungen, Telefongesprächen, Telefonbeantwortern und ähnlichen Alltagsdingen ist hoch komplex und extrem raffiniert.

Da Kiarostami in Japan gedreht hat, war er auf ein detailliertes Script angewiesen, musste seine Arbeitsweise komplett verändern. Dafür könne ihm diesmal niemand vorwerfen, er habe einen Film für den Westen gemacht, wie bei «Copie conforme» mit Juliette Binoche vor zwei Jahren, hat Kiarostami im Mai in Cannes gewitzelt. Das sei jetzt ein Film mit Untertiteln aus einem fernen Land, wie dem Iran.

Extrem sorgfältig gefilmt und geschnitten

Tatsächlich beschleicht einen das Gefühl, dass dieser Film so nur in Japan hat entstehen können. Die ausgesuchte Höflichkeit und Liebenswürdigkeit zwischen dem alten Mann und der 20jährigen würde in den meisten westlichen Ländern befremdlich wirken. Unser Japanbild dagegen bedient die Konstellation bestens, und damit funktioniert das wohl auch umgekehrt. Wenn Akiko in der Wohnung des alten Mannes eher wie eine Enkelin auftritt, erweckt das nicht den Eindruck eines vorgegebenen Rollenspiels, sondern wirkt wie das natürliche Resultat der grundsätzlichen Umgangsformen.

«Like Someone in Love» ist, wie alle Filme Kiarostamis, extrem sorgfältig gefilmt und geschnitten, dazu aber nun aufgrund der Arbeitsweise auch noch vorab detailliert und ausgefeilt in allen Dialogen. Und er ist voller komischer Momente. Das Schönste daran ist allerdings, dass das Spiel mit dem Selbstbild und der Identität der drei Figuren so unterschiedlich ist.

Rollenspiel als Zuflucht

Während Akiko sich vom Job her in Rollen wirft, fühlt sie sich offensichtlich nur in ihrer Wunschrolle als Enkelin ihrer geliebten Grossmutter sicher und wohl. Takashi dagegen weiss genau, wer er ist und was er möchte. Grossvater zu spielen kommt ihm dabei ausgesprochen entgegen.

Und der von Ryo Kase gespielte ruppige Noriaki schliesslich, der hat sein Selbstbild über seine persönlichen Unsicherheiten gebaut. Er betreibt eine gut gehende Autoreparaturwerkstatt, hat den dritten Dan in Karate und träumt von einer Familie mit Akiko, die er unter Kontrolle haben möchte.

Spiel mit dem Selbstbild der Figuren

Der Schlüssel zu diesem Film liegt in seinem Spiel mit dem Selbstbild und der Identität der Figuren. Alle drei spielen unterschiedliche Wunschrollen, entweder zur Erfüllung der Wünsche anderer, oder aber zur Erfüllung eines eigenen Identitätswunsches. Sie sind, wie vorher Juliette Binoche «copies conformes». Und damit irritieren sie sich nicht nur gegenseitig, sondern auch das Kinopublikum, dessen Wunsch nach Eindeutigkeit eben auch nicht erfüllt wird.

Oder fast nicht. Denn am Ende passen die drei Menschen genau in ihren Wunschkonstellationen doch irgendwie zusammen. Nachdem Regisseur Kiarostami den Realitäten des Lebens seinen Tribut gezollt hat, lässt er der Wunscherfüllung dann doch noch ein Türchen offen.

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