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Film & Serien «Noah» – eine Free-Jazz-Version des Alten Testaments

Nicht ohne Grund gab es bisher kein einziges Kinoepos über Noah. Als frommer Gottesdiener ohne Entwicklung eignet er sich schlecht als Leinwandheld. Trotzdem hat sich Regisseur Darren Aronofsky an den Stoff gewagt. In seiner kühnen Neukomposition sind auch Echos anderer Bibel-Geschichten zu hören.

Fällt der biblische Name Noah, denkt man sofort an süsse Tierpärchen, die dicht gedrängt an Bord gehen. Schliesslich haben Künstler Noahs Arche meist als eine Art riesiges Hausboot dargestellt. Dabei ist eine Arche eher so etwas wie eine schwimmende Kiste (das lateinische Wort «arca» bedeutet wörtlich übersetzt «Truhe»).

In diesem Punkt ist Darren Aronofskys «Noah» tatsächlich näher am Wortlaut des Alten Testaments. In vielen anderen Punkten nimmt sich der Regisseur dagegen Freiheiten. Zum Beispiel, indem er Tubal-Kain, einen Nachfahren des Brudermörders Kain, als Noahs blutrünstigen Gegenspieler einbaut.

Das stärkste Zitat

«Die Boshaftigkeit ist nicht nur ihn ihm (im Schurken Tubal-Kain) – sie steckt in uns allen.» Noah erzählt seiner entsetzten Frau von seiner jüngsten göttlichen Eingebung, laut welcher der Mensch eine missglückte Schöpfung ist. Im Alten Testament sorgen Noahs Söhne nach der Flut mit ihren Nachkommen dafür, dass die Menschheit weiterexistiert. Im Film erhält Noah dagegen die strikte Weisung, die Fortpflanzung seiner drei Söhne zu unterbinden. Familienzwist ist da vorprogrammiert…

Fakten, die man wissen sollte

Ein Mann mit Bart umarmt eine Frau und blickt dabei angespannt.
Legende: Ein Bibelheld kommt ins Kino: Noah, gespielt von Russell Crowe. Universal

«Noah» ist nur einer von vielen Bibelhelden, die Hollywood derzeit wieder für sich entdeckt. Stein des Anstosses war Mel Gibson, der 2004 mit «The Passion of the Christ» überraschend viel Geld verdient hatte. Davor galt der Bibelfilm fast vier Jahrzehnte lang als ausgestorbenes Genre.

Inzwischen hat Hollywood die christliche Gemeinde als lukrativen Absatzmarkt wieder entdeckt. Allein in den USA leben 200 Millionen Christen, fast die Hälfte davon gilt als evangelikal. Evangelikale Christen nehmen wörtlich, was in der Bibel steht. Zum Beispiel, dass Noahs Grossvater Methusalem 969 Jahre alt geworden ist.

Wegen ihrer grenzenlosen Begeisterung für die Heilige Schrift sind die erzkonservativen Evangelikalen die eigentliche Zielgruppe für Bibelfilme. Sie haben zum Jahresbeginn den Erfolg des ultra-konventionellen Jesusfilms «Son of God» möglich gemacht.

Und die Traumfabrik arbeitet derzeit auf Hochtouren an weiteren biblischen Heldengeschichten. Die Starregisseure Ang Lee und Ridley Scott wetteifern mit epischen Moses-Verfilmungen um die Wette. Auch die Schauspielelite macht munter mit: Christian Bale wird in Scotts «Exodus» Moses verkörpern, während Brad Pitt in «Pontius Pilatus» die Titelrolle übernehmen soll. Ebenfalls bald in unseren Kinos: «David and Goliath» mit Taylor Lautner und Dwayne «The Rock» Johnson, Will Smiths Regiedebüt «The Redemption of Cain», sowie «Jesus of Nazareth» von Skandalfilmer Paul Verhoeven.

Der Regisseur

Dem breiten Publikum ist der 45-jährige New Yorker Darren Aronofsky erst seit seinen letzten beiden, mehrfach preisgekrönten Filmen bekannt. «The Wrestler» mit Mickey Rourke als schlecht gealterter Kämpfer gewann 2008 in Venedig den Goldenen Löwen und wurde danach mit zwei Oscar-Nominierungen bedacht.

Beitrag zum Thema

2010 dann der ganz grosse Triumph mit dem Ballett-Horror-Drama «Black Swan». Hauptdarstellerin Natalie Portman durfte den Academy Award mit nach Hause nehmen. Regisseur Darren Aronofsky nannte sie in ihrer Oscar-Siegesrede einen furchtlosen Visionär. Eine treffende Bezeichnung, vor allem, wenn man sich das gesamte Werk des künstlerisch Hochbegabten anschaut.

Schon sein berauschender Debütfilm «Pi» verblüffte mit wild orchestrierten Schnittfolgen. Der stilbildende Mix von extremen Nahaufnahmen mit Zeitraffer-Aufnahmen – bekannt als «Hip-Hop-Montage» – ist Aronofskys oft kopiertes Markenzeichen. Besonders wirkungsvoll setzt der Autorenfilmer diese Technik jeweils für die Darstellung tranceartiger Zustände ein. Unvergessen der Drogenrausch in «Requiem for a Dream», die Jenseits-Erfahrung in «The Fountain» und die Panikattacken in «Black Swan». Auch in «Noah» fehlt Aronofskys liebstes Stilmittel nicht: Wenn der Prophet seine göttlichen Visionen empfängt, kommen Bilderflut-Junkies voll auf ihre Kosten.

Das Urteil

«Noah» feiert den Flutmythos des Alten Testaments erfrischend frei und undogmatisch. Die mutige 125-Millionen-Dollar-Produktion begeht nicht den Fehler, sich aus kommerziellem Kalkül bei den Gläubigen anzubiedern. Für Aronofsky ist die Heilige Schrift eine Inspirationsquelle, kein Korsett. Natürlich werden sich einige evangelikale Christen darüber aufregen, dass sich der Regisseur nicht sklavisch an die Bibel hält. Aus dramaturgischer Sicht hat Aronofsky mit der Verschärfung des Erzähltons aber alles richtig gemacht.

Die Etablierung von Tubal-Kain als Noahs Gegenspieler hilft dem Spannungsbogen des Films genauso wie die Radikalisierung von Gottes Auftrag. Anders als in der Bibel ist Aronofskys Noah ein Zerrissener, der glaubt, sich zwischen der Liebe Gottes und seiner Familie entscheiden zu müssen. Bibelkundige mit feinen Antennen werden in diesem Dilemma Abrahams Grundkonflikt erkennen.

Aber nicht nur für diese ist Aronofskys Free-Jazz-Version des Alten Testaments gedacht. Sondern auch für unreligiöse Kinogänger, die sich von der mythischen Kraft einer universellen Geschichte mitreissen lassen wollen. Und davon scheint es überall auf der Welt genügend zu geben, wie die starken ersten Einspielergebnisse aus Amerika, Russland und Asien bezeugen.

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