Seit 2008, dem Jahr des Beitritts der Schweiz zum Assoziierungsabkommen im Schengen-Raum, produzieren Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) und der Südwestrundfunk (SWR) fast im Jahresrhythmus einen gemeinsamen «Tatort» am Bodensee. SRF beteiligt sich einmal im Jahr am seit 2002 vorbestehenden Konstanzer «Tatort» – finanziell, redaktionell und mit einem eigenen Schweizer Co-Ermittler.
Auf Reto Flückiger (Stefan Gubser), der nach drei Folgen als Chef der Thurgauer Seepolizei sein eigenes Kommissariat in Luzern antreten durfte, folgte Matteo Lüthi (Roland Koch), ein Mann mit Vergangenheit und dem Hang zum Alleingang. Zum zweiten Mal nach «Nachtkrapp» (2012) ist er in «Letzte Tage» schneller als die deutsche Polizei erlaubt am Tatort – diesmal sogar noch vor Klara Blum – und beansprucht wie selbstverständlich die Ermittlungshoheit.
Das Abkommen von Schengen
Das Abkommen von Schengen, das seit 1985 besteht und an das sich die Schweiz nach einer Volksabstimmung 2005 per 12. Dezember 2008 assoziiert hat, fördert den freien Reiseverkehr zwischen den Mitgliedstaaten. Dafür hebt das Abkommen die systematischen und verdachtsunabhängigen Personenkontrollen an den Grenzen auf.
Als Ausgleich und zur Stärkung der inneren Sicherheit der Staaten werden die Kontrollen an den Aussengrenzen des Schengen-Raums intensiviert. In der Schweiz sind die systematischen Personenkontrollen an der Grenze durch mobile Einheiten der Grenzwache ersetzt worden. Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Polizei wurde verstärkt und das Schengen-Informationssystem zum gegenseitigen Abgleich der Fahndungsdaten geschaffen.
Polizeizusammenarbeit an Bodensee und Rhein
Nicht erst seit dem Beitritt zu Schengen gehört für die Schweiz eine klar geregelte Polizeizusammenarbeit mit den Nachbarländern zu den zentralen Sicherheitsvorkehrungen: Zwischen der Schweiz und Deutschland ist seit dem 1. März 2002 ein grenzüberschreitender Polizeizusammenarbeitsvertrag in Kraft; das entsprechende Vertragswerk mit Österreich und Liechtenstein besteht sogar schon seit dem 1. Juli 2001.
Eingebunden in diese Vertragswerke, die mit Schengen noch an Bedeutung hinzugewonnen haben, sind im Umland von Bodensee und Rhein insbesondere die Polizeikorps der Kantone Thurgau, St. Gallen, Schaffhausen, Zürich, Aargau, Basel-Stadt und Basel-Land, der deutschen Bundesländer Baden-Württemberg und Bayern sowie der österreichischen Bundesländer Vorarlberg und Tirol sowie Liechtenstein.
Nacheile und Observation
Kernstück der grenzüberschreitenden Polizeizusammenarbeit ist das Prinzip der Observation und Nacheile. Bei der Nacheile kann die Schweizer Polizei die Verfolgung eines Straftäters, den sie auf frischer Tat ertappt hat, bis nach und durch ganz Deutschland aufnehmen – und umgekehrt. Die jeweils andere Einsatzleitstelle muss jedoch so schnell wie möglich orientiert werden.
Auch die Observation einer Person dürfen Schweizer Polizisten nach Deutschland ausdehnen – im Eilfall bis zu einer Dauer von 5 Stunden. Nach 5 Stunden muss eine Bewilligung der deutschen Polizisten vorliegen. Verhaftungen obliegen immer und ausschliesslich der zuständigen Landesbehörde.
Bevor ein Tötungsdelikt als solches erkennbar vorliegt und die Ermittlungen, wie sie in Krimis gezeigt werden, einsetzen können, wird in der Regel zuerst eine Polizeipatrouille ausrücken und eine erste Bestandsaufnahme vornehmen. Je nach Eingang und Art der Meldung wird die Kriminalpolizei mit dem Kriminaltechnischen Dienst (KTD) vor Ort gerufen und die Staatsanwaltschaft informiert.
…Mord ohne Grenzen
In einem Mordfall, der sich nicht an Landesgrenzen hält, wird diejenige Polizei die Ermittlungen aufnehmen, auf deren Gebiet die Leiche gefunden wurde. Unabhängig von der Nationalität des Opfers oder des Tatorts. Wenn ein Schweizer in Konstanz ermordet wurde, ist die Kripo Konstanz zuständig – und umgekehrt. Wird ein Schweizer in Konstanz ermordet, kann die zuständige Kripo Konstanz keine eigenständigen Ermittlungen in der Schweiz aufnehmen. Sie ist deshalb auf die Informationen der Kantonspolizei Thurgau angewiesen.
Im Bodensee-Tatort wäre dies spätestens der Moment, in dem Klara Blum mit den Kollegen der Kantonspolizei Thurgau, in der Regel mit einem Dienstchef der Kripo, zusammenarbeiten müsste. Oder eben mit Matteo Lüthi.
Falls die deutsche Seite eine Hausdurchsuchung verlangen würde, müsste dafür ein Rechtshilfe-Ersuchen des deutschen Staatsanwalts an den Staatsanwalt im Kanton Thurgau erfolgen. Sollte sich im Verlauf der Ermittlungen herausstellen, dass die Tat in der Schweiz begangen wurde und einen schweizerischen Hintergrund hat, würden sich die Staatsanwaltschaften in den meisten Fällen darauf verständigen, die Zuständigkeit neu zu definieren.
Gemeinsame Ermittlungsgruppen
In einem grenzüberschreitenden Mordfall ist von vorneherein die Bildung einer gemeinsamen Ermittlungsgruppe - im TV-Krimi «Sonderkommission» genannt – sinnvoll. Diese besteht aus Ermittlern beiderseits der Grenze. Wenn ein Gewaltverbrechen im Zusammenhang mit einer Reihe weiterer Straftaten steht, ist die Zusammenarbeit besonders wichtig. Gemeinsame Ermittlungsgruppen können auf der Basis des Polizeivertrags eingerichtet werden (Art. 20 D-CH-Polizeivertrag).
Die Ermittlungshoheit wird nicht mit den Abkommen, sondern pragmatisch geregelt. Ausschlaggebend ist, wo die Leiche gefunden wurde (Territorialprinzip). Falls die Leiche auf einem Schiff gefunden wurde, gilt auf manchen Gewässern das Flaggenprinzip – die Zuständigkeit liegt in dem Land, unter dessen Flagge das Schiff fährt. Dies ist auf dem Bodensee jedoch nicht der Fall.
Schengen und Polizeivertrag bestimmen nur, welche Massnahme die beiden Staaten zur Aufklärung des Falls grenzüberschreitend treffen können. Sei dies Informationsaustausch, Observation oder eben eine gemeinsame Ermittlungsgruppe.