Malik Bendjelloul hatte schon etliche Dokumentarfilme für das schwedische Fernsehen gedreht, als er beschloss, sich auf eigenes Risiko auf eine Weltreise zu machen – auf der Suche nach guten Geschichten. Jene, die er bald darauf in Südafrika fand, war so gut, dass er die nächsten sechs Jahre seines Lebens investierte, um sie auf die Leinwand zu bringen.
«Searching for Sugarman» erzählt eine Geschichte, die in Südafrika alle kannten und auf der restlichen Welt niemand. Die Hauptfigur: Sixto Rodriguez, geboren 1942 in Detroit. Zu Beginn der siebziger Jahre wurde der Singer/Songwriter in einer Bar in Detroit von einem Scout entdeckt und für zwei Alben unter Vertrag genommen. Aber schon das erste, «Cold Fact» blieb in den Läden liegen. Und so kündigte die Plattenfirma den Vertrag kurz nach der Aufnahme des zweiten, «Coming from Reality», das sie dann gar nicht mehr herausbrachte.
Aparter Protest
Rodriguez ging zurück in seine Heimatstadt Detroit und verbrachte sein weiteres Leben als Bauarbeiter mit dem Renovieren alter Häuser. Aber irgendjemand schmuggelte das Album «Cold Fact» in das dank seiner Apartheidspolitik kulturell isolierte Südafrika, wo die stark getexteten und grossartig orchestrierten Protestsongs sich unter den Jugendlichen rasend verbreiteten.
Als die staatliche Zensur merkte, dass «Cold Fact» alle Kriterien für ein Verbot erfüllte, war es zu spät: Die Platte war in jedem Haushalt zu finden und Rodriguez unter den rockbegeisterten jugendlichen Apartheidgegnern bekannter als die Rolling Stones oder Elvis Presley.
Legenden und Fakten
Dass über den Sänger selbst nichts zu erfahren war, schrieb man der Isoliertheit Südafrikas zu, dass keine weiteren Alben mehr auf den Markt kamen, dem Umstand, dass sich Rodriguez der Legende nach auf der Bühne das Leben genommen hatte.
Bis dann in den Neunzigerjahren zwei Musikjournalisten mit Nachforschungen begannen und die Geschichte von «Cold Fact» und Sixto Rodriguez in minutiöser Kleinarbeit und mit Hilfe einer erstaunlichen Email aus den USA aufdeckten.
Realität verrückter als Fiktion
So weit so grossartig. Und es kommt noch grossartiger – bloss soll hier nicht alles verraten werden. Und das gleiche Problem hatte auch Malik Bendjelloul. Wie erzählt man eine Geschichte, die an einem Ort alle schon kennen, mit Protagonisten, die ihre eigenen Entdeckungen noch einmal aufrollen und mit einem Höhepunkt, der in der Dramaturgie des Dokumentarfilms noch immer überraschend sein soll – und kann?
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Der junge Filmemacher filmte wie üblich seine erzählenden Protagonisten, stets im Bewusstsein, dass die ganze Geschichte darauf zurückgeht, dass sie sich in einem isolierten Land und vor der Verbreitung des Internets abgespielt hatte. Also musste auch dieser bereits historischen Komponente erzählerisch Rechnung getragen werden. Bendjelloul hatte Glück, er fand engagierte Produzenten, welche eine komplexere Erzählweise finanzierten. Nun besteht «Searching for Sugarman» nicht nur aus den üblichen «Talking Heads», sondern aus vielen einfallsreichen Sequenzen, bis hin zu liebevollen Animationen.
Ein Dylan, der singen kann
Und all dies im Dienst einer geschickten Erzählung, die sich nicht scheut, das Publikum auch auf falsche Fährten zu locken. Und wichtiger: Im Dienst einer Geschichte, die auch immer wieder neue Fragen aufwirft. Wie ist es möglich, dass Rodriguez in Südafrika tausende von Platten verkaufte, ohne dass der Rest der Musikwelt das mitbekam? Wo floss das Geld hin? Warum kam auch das zweite Album auf den südafrikanischen Markt? Und später sogar CD-Editionen?
Heute ist klar: Der wunderbar gemachte Film von Malik Bendjelloul hat den Sänger Rodriguez der Vergessenheit entrissen. Seine Musik ist wieder erhältlich und sie wird gekauft. Vor allem auch darum, weil sie tatsächlich grossartig ist. Die Songs, produziert mit dem einfallsreichen Instrumentarium der späten Sechziger Jahre, unglaublich stark getextet und einprägsam gesungen, kommen daher wie Kleinode aus einer Zeitkapsel. Als ob man plötzlich einen Bob Dylan entdeckte, der richtig gut singen kann und dessen Texte noch nicht auf Zuckerbeuteln stehen.
Und mehr soll hier nicht verraten werden. Es lohnt sich, den Film möglichst uninformiert anzusehen und sich den Seltsamkeiten und überraschenden Schönheiten des Lebens zu überlassen.