Calvin Weir-Fields (Paul Dano) ist ein Bestseller-Autor mit Schreibblockade. Sein Psychiater rät ihm, eine Figur zu erfinden, die ihn trotz all seiner eingebildeten oder realen Fehler liebt. Und die erschreibt er sich mit Ruby, jenem wundervollen Mädchen, das genau so gerne Zombie-Filme sieht wie er, dabei stets fröhlich bleibt, bei Bedarf französisch redet und immer Lust auf Sex hat.
Aber dann steht Ruby (Drehbuchautorin Zoe Kazan) plötzlich in seiner Wohnung, als ob sie schon immer da gewesen wäre. Und wenn er sich an die Schreibmaschine setzt und ihr etwas in den Mund legt, dann sagt sie es.
Pygmalion, Pinocchio und Frankenstein
Wenn die eigene Fantasie plötzlich real wird, kann das zu Problemen führen. Das merkt in Ovids «Metamorphosen» der griechische Bildhauer Pygmalion, dessen ideale Frauenstatue lebendig wird. Und das merkt der britische Sprachprofessor Higgins im Musical «My Fair Lady», als er sich in das Blumenmädchen verliebt, dem er die Sprache einer Gräfin antrainiert hat. Das Musical basiert wiederum auf einem Theaterstück von George Bernard Shaw, das ebenfalls «Pygmalion» heisst.
Die Figur des Tischlermeister Geppetto bekommt Probleme mit seiner Holzpuppe Pinocchio - im Buch und bei Disney. Und Mary Shelleys Viktor Frankenstein noch grössere mit seinem aus Leichenteilen gebauten Monster - vor allem und erst recht in den unzähligen Verfilmungen.
Und im modernen Kino erst: Philippe de Broca schickte 1973 Jean-Paul Belmondo als eine Art James-Bond-Autor durch seine eigenen Abenteuer in «Le magnifique». Und 1984/85 jagt Romanautorin Joan Wilder (Kathleen Turner) in «Romancing the Stone» und «The Jewel of the Nile» durch Abenteuer, die sie selber geschrieben hat, mit Figuren, die ein Eigenleben entwickeln.
Ein Paar im Film wie im Leben
Zoe Kazan, Enkelin des Hollywood-Dramatikers Elia Kazan («East of Eden», 1955), sagt, es sei an der Zeit gewesen, diese Geschichte einmal aus der Perspektive des erschaffenen Geschöpfes anzugehen - und das im doppelten Sinne. Die Drehbuchautorin spielt die von ihr entworfene Figur «Ruby Sparks» im Film gleich selber. Dass Calvin-Darsteller Paul Dano im wahren Leben ihr Partner ist, macht den Film bloss noch reizvoller.
Zoe Kazan hat ein subtiles Drehbuch geschrieben. Sie hütet sich, aus Calvin einen Viktor Frankenstein zu machen. Der junge Autor verliebt sich tatsächlich in seine Traumschöpfung und das Drama setzt erst ein, als er inmitten der ganz normalen Alltagsspannungen im Paarleben der Versuchung nicht widerstehen kann, als Autor einzugreifen, Ruby nach Bedarf ein klein wenig umzuschreiben.
«Little Miss Sunshine»
Um so eine Geschichte zum Funktionieren zu bringen, braucht es die «suspension of disbelief», welche der Dichter Samuel Taylor Coleridge postuliert hat, den temporären Verzicht auf den Ungläubigkeit beim Publikum, jenen Vertrag, den der Thriller-Regisseur Alfred Hitchock stets implizit mit seinen Zuschauerinnen und Zuschauern geschlossen hat.
Zoe Kazan hat dafür das ideale Regie-Duo gefunden. Jonathan Dayton und Valerie Faris haben unter anderem den Indie-Hit «Little Miss Sunshine» zum leuchten gebracht. Und im Gespräch erklären sie übereinstimmend, als Ehepaar erschaffe man sich ohnehin permanent gegenseitig, schreibe sich fort und um.
So ist «Ruby Sparks» zu einer romantischen Tragikomödie mit Witz und Tiefe geworden, zu einem Film, der auf mehreren Ebenen funktioniert. Und vor allem zu einem Kinoerlebnis, das einem den temporären Verzicht auf die alltägliche Wahrscheinlichkeitshuberei sehr sehr leicht macht.