Von Migration lässt sich variantenreich erzählen. Eine bemerkenswerte wählt der Ostschweizer Regisseur Peter Liechti. In seinem für den Schweizer Filmpreis nominierten Beitrag «Vaters Garten» zeigt er vor allem Formen der inneren Migration: Die sich in die Religion flüchtende Mutter, daneben der Vater, der den Schrebergarten bestellt, beide auf der Flucht vor dem Leben und sich selbst, der Welt, dem Sohn.
Drei Filme wagen sich an das Unaussprechliche
Drei weitere nominierte Filme beschäftigen sich mit Menschen, die ihre Heimat verlassen mussten. Sie befinden sich immer noch auf der Flucht oder versuchen, sich an dem Ort, an dem sie gestrandet sind, zurechtzufinden und zu integrieren.
Mit «L'escale» von Kaveh Bakhtiari aus der Westschweiz, «Neuland» von Anna Thommen und «Der Imker» von Mano Khalil aus der Deutschschweiz sind drei engagierte Filme nominiert, die versuchen, das Unaussprechliche, die Unfreiwilligkeit der Migration, die Ohnmacht und die Not, die dem Fremdsein innewohnt, greifbar zu machen.
Dokumentarfilme als Stimmungsbarometer
Die Häufung dieser Filme erscheint als Stimmungsbarometer Schweizer Befindlichkeiten – vor allem mit den Abstimmungsergebnissen vom 9. Februar als Matrize, auch wenn die Nominierungen vor der SVP-Volksabstimmung um die Einwanderungsbedingungen stattgefunden haben.
Skandalös erscheint vor diesem Hintergrund die fünfte Nomination der Kategorie «Bester Dokumentarfilm»: «L’expérience Blocher». Der Westschweizer Regisseur Jean-Stéphane Bron, mit seinen bisherigen Filmen «Mais im Bundeshaus» oder «Cleveland Versus Wall Street» für seinen kritischen Blick bekannt, geht in seinem neuen Werk dem SVP-Politiker Christoph Blocher gewaltig auf den Leim.
Der Zuschauer wird Zeuge eines grossen Missverständnisses: Bron möchte einem Phänomen auf die Spur kommen, einem Menschen auf dem Grund gehen, der die Schweiz massgeblich verändert hat und immer noch mitgestaltet. Stattdessen stellt er Blocher nur einmal mehr eine Bühne zur Verfügung, auf der sich der SVP-Führer sichtlich wohlfühlt.
Fragen und «Schwätzen»
Seine Fragen stellt Bron unbeholfen. Blocher fragt seinen Westschweizer Chronisten, ob und wie er mit ihm «schwätzen» solle, damit der alles verstehe. So wartet der Zuschauer in vielen Momenten vergebens auf die richtige Nachfrage von Seiten des Regisseurs. Wichtige Informationen und markante Aussagen berichtet Bron, wenn überhaupt, im Konjunktiv aus dem Off. So nachgeschoben wirkt das eher entschuldigend als entlarvend.
Bron versucht diese Unzulänglichkeiten während des Filmverlaufs durch die Schilderung eigener Gedanken zum Fall Blocher wettzumachen. Höhepunkt dieser Unbeholfenheit sind Bilder des Ehebetts, in dem Silvia Blocher auf ihren vielbeschäftigten Mann wartet. Diese ausgestellte Intimität erzählt nichts Neues, ausser von der Banalität, dass auch die Blochers menscheln.
Am Ende steht Blocher als verkannter Held vor der Kamera: Kurz abgehakt und schnell vergessen sind seine Geschäfte, die dem armen Pfarrerssohn zum Reichtum verhalfen. Was zählt ist der politische Kampf. Zum Beispiel der gegen Migranten. Den hat Blocher gewonnen. Bleibt die Hoffnung, dass es beim Schweizer Filmpreis anders sein wird.