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Sandra Bullock verliert George Clooney nach 15 Minuten in den unendlichen Weiten des Alls und schwebt fortan über eine Stunde allein durch den dreidimensionalen Kino-Weltraum. Der zweifache österreichische Oscar-Preisträger Christoph Waltz macht sich als depressiver Mathematiker in einer sehr nahen und grellen Zukunft auf die Suche nach dem Sinn des Lebens. Und Scarlett Johansson macht Schottland zwei Stunden lang als männermordendes Alien unsicher. Venedig verblüfft die Festivalbesucher in diesem Jahr mit Science-Fiction-Szenarien, die nie ein Mensch zuvor gesehen hat.
Eher Popcorn als Kino-Feinkost
Das Genre Science-Fiction liegt offenbar voll im Trend. Im Mainstream-Kino profitiert die Filmgattung immer noch von der 3D-Welle, die «Avatar» 2009 auslöste. Die digitale Revolution hat den Regisseuren die technischen Mittel gegeben, um den Traum vom Weltraum bildstark in Szene zu setzen. Sogar das vermeintlich veraltete Raumschiff Enterprise wirkt im digitalen Zeitalter plötzlich wieder modern.
Die Produktion von Science-Fiction-Filmen läuft in Hollywood momentan auf Hochtouren. Die Fortsetzungen von «Star Wars», «Star Trek» und «Avatar» werden 2015 zum Kinojahr des Science-Fictions machen. Sie sind aber nur die Spitze des Eisbergs. Auch Autorenfilmer versuchen sich vermehrt im Genre der Stunde. Mit deutlich kleinerem Budget, aber nicht weniger Enthusiasmus, wie die jüngsten Regiearbeiten von Alfonso Cuarón, Jonathan Glazer und Terry Gilliam beweisen. Alle drei haben es mit innovativen Science-Fiction-Streifen ins Programm von Venedig geschafft, wo normalerweise realitätsnahe Dramen den Ton angeben.
Alberto Barbera, der Direktor der Filmfestspiele von Venedig, hat mit der Selektion von «Gravity», «The Zero Theorem» und «Under the Skin» ein Zeichen gesetzt. Das Festival wolle trotz 70-Jahre-Jubiläum jung bleiben und mutig Filme aus allen Genres selektionieren. Auch aus solchen, die eher nach Popcorn als nach Kino-Feinkost riechen.
Fact statt Fiction
Sendungen zum Thema
- Eröffnung Filmfestival in Venedig («Kultur kompakt», 28.08.2013)
- «Il bacio di Tosca» in Venedig (Filmpodcast, 30.08.2013)
- «The Imaginarium of Doctor Parnassus» («Box Office», 06.01.2010)
- Terry Gilliam und Heath Ledger («Box Office», 30.09.09)
- Beste Video-Clips, u.a. Jonathan Glazer («Kulturplatz», 11.01.06)
Doch handelt es sich bei den drei ausgewählten Titeln auch wirklich um Science-Fiction-Filme im klassischen Sinne? Die Antwort können nur die Regisseure selbst liefern. Alfonso Cuarón differenziert und nennt die Einsamkeitsstudie «Gravity» einen sogenannten Science-Fact – eine Wortschöpfung die interessanterweise auch Terry Gilliam für «The Zero Theorem» verwendet. Gemeint ist damit die Zuwendung zu Themen mit realem Hintergrund im Gegensatz zur Flucht in phantastische Gegenwelten.
In «Gravity» wird im Orbit schwebender Weltraummüll zur Bedrohung, nicht irgendein schiesswütiges Alien. Und in «The Zero Theorem» macht die Reizüberflutung durch Tablets, Smartphones und Werbung den chronisch überforderten Protagonisten depressiv.
Ausserirdische kommen nur in der Romanverfilmung «Under the Skin» vor. Um den Realitätsfaktor der Geschichte zu verstärken, hat Regisseur Jonathan Glazer das Science-Fiction-Element allerdings bewusst klein gehalten und stattdessen weite Strecken des Films mit versteckten Kameras in schottischen Städten gedreht. Trotz klarer Indikatoren handelt es sich bei den drei genannten Filmen also nur um Science-Fictions im weiteren Sinne.
Ohne Effekthascherei unter die Haut
Genau dieses Experimentieren am Rande des Genres macht die drei Filme so interessant. Anders als konventionelle Science-Fictions betreibt Cuaróns «Gravity» – trotz spektakulärer 3D-Optik – nie Effekthascherei. Dank der von Action-Ballast weitgehend befreiten Dramaturgie fühlt man sich als Zuschauer nach zwei Stunden so, als ob man nicht im Kino, sondern im Weltraum gewesen wäre.
Gilliams «The Zero Theorem» wiederum hat zwar erzählerische Schwächen. Dafür punktet der kunterbunte Film als treffende Karikatur unserer heutigen Welt, in der zwar alle miteinander vernetzt, aber keiner mehr miteinander verbunden ist. Und Glazers «Under the Skin» geht mit seinem ungewöhnlichen Mix aus dokumentarisch anmutenden Momentaufnahmen und hochstilisierten Schocksequenzen buchstäblich unter die Haut.