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Film & Serien «Singapore Sling»: eine abartige Tragödie über unerwiderte Liebe

Der Film «Singapore Sling» von Nikos Nikolaidis ist nichts für zartbesaitete Gemüter. Der Verstand fällt hier Inzest und Homosexualität, Fesselung und Folter, Kannibalismus und Nekrophilie zum Opfer. Eine Hommage an «Laura», Otto Premingers Meisterwerk des Film Noir aus dem Jahr 1944.

Gin, Cherry Brandy, Limettensaft und Bénédictine: Schon beim Lesen der Zutaten für einen «Singapore Sling» ahnt man, was für Schäden der mit einer Maraschino-Kirsche dekorierte Cocktail im zentralen Nervensystem anrichten kann. Nikos Nikolaidis' Film ist in etwa das: ein Cocktail mit Zutaten, die aus dem Rahmen fallen und der, nicht nur bei empfindlichen Gemütern, Übelkeit und existenziellen Katzenjammer auslösen kann.

DVD-Hinweis

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Nikos Nikolaidis: «Singapoer Sling.» DVD Vertrieb: Bildstörung, 1990.

Bonusmaterial:

  • «Directing Hell»: eine 80-minütige Dokumentation über Regisseur Nikos Nikolaidis
  • Interview mit Regisseur Nikos Nikolaidis
  • Booklet

Ein Mann (Panos Thanassoulis), dessen besten Zeiten als Privatdetektiv dem Suff zum Opfer gefallen sind, sucht eine junge Frau, die verschwunden ist. Obwohl er vermutet, dass das Mädchen – Laura ist ihr Name – schon lange tot ist, kann er nicht aufhören, nach ihr zu suchen. In einer regnerischen Nacht landet er volltrunken und verletzt in der Villa von zwei Frauen, Mutter (Michèle Valley) und Tochter (Meredyth Herold), die völlig abartig sind.

Hommage an Otto Premingers «Laura»

Nikolaidis‘ «Singapore Sling» ist eine Hommage an «Laura», Otto Premingers Meisterwerk des «Film Noir» von 1944. Formal kopiert der griechische Regisseur sein Vorbild, dreht in schwarz-weiss, verwendet das gleiche Seitenverhältnis und prägt das Bild durch lange Einstellungen. Und wie in Premingers Film gibt es in «Singapore Sling» keine Heroen, nur Menschen, die ihren eigenen Plänen folgen.

Doch was Preminger nur andeutet, die verborgenen Schattenseiten der menschlichen Seele, leuchtet Nikolaidis in «Exploitation Manier» grell aus. Er inszeniert die Abgründe in einem Bacchanal von Eros und Thanatos, Ekstase und Agonie. Auch wenn man vor und nach 1990, dem Jahr in dem der Film erschienen ist, schwerer zu verdauende Werke gesehen hat, bleibt «Singapore Sling» in seiner konvulsiven Art verstörend und schwer erträglich.

Griechischen Tragödie mit «de Sadescher» Prägung

SM-Szene zwischen zwei Frauen.
Legende: SM-Szene zwischen Tochter (Meredtyth Herold) und Mutter (Michèle Valley). 1990 Nikos Nikolaidis Marni Films

Nikolaidis geschlossene Gesellschaft im Mausoleum der unerwiderten Liebe kann ihr ungestümes epikureisches Verlangen trotz exzessivem Verzehr verbotener Genüsse nicht sättigen. In diesem Reich der Sinne fällt der Verstand Inzest und Homosexualität, Fesselung und Folter, Kannibalismus und Nekrophilie zum Opfer.

Wie in Premingers «Laura» ist auch in Nikolaidis' Film die Frau, um die sich alles dreht, bereits tot. Und hier wie dort besteht zwischen dem Ermittler und dem Mordopfer eine Beziehung, die über das Leben hinausgeht. Doch anders als bei Preminger, begegnet in «Singapore Sling» der Ermittler seiner Angebeteten nur als Figur im Rollenspiel der Mörderinnen von Laura. Dass die Schauspieler nicht die gleiche Sprache sprechen und ein griechisches Voice-Over über den Szenen liegt, verstärkt nur die Sonderbarkeit des Films, rückt ihn noch näher an die griechischen Tragödie «de Sadescher» Prägung.

Dekadenter Trip für eine Minderheit

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Und dass der zwei Stunden lange Film dabei nicht an seinen eigenen Exzessen erstickt, liegt an der ästhetischen Qualität und der verbissenen Entschlossenheit, mit der sich Nikolaidis über politische Korrektheit hinwegsetzt. Dabei quetscht der Regisseur nicht nur Premingers Klassiker von der Ästhetik bis zum narrativen Aufbau aus, sondern bedient sich auch, ganz ungeniert, bei Polanskis «Cul-de-sac», bei Octave Mirbeaus «Im Garten der Qualen» und garniert das Ganze mit Ed Woods absurd-fantastischem Kitsch.

Dennoch: «Singapore Sling» ist unverwechselbar – ein tödlicher Cocktail für eine glückliche Minderheit, die sich auf den dekadenten Trip wagt.

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