James Gandolfini zeichnete sich durch eine enorme Präsenz aus, die nur zum Teil von seiner massigen Gestalt herrührte. Entscheidend war vielmehr die für ihn typische Ambivalenz zwischen Gemütlichkeit und Gewaltbereitschaft. Diese brachte er auch in seiner Paraderolle als Therapie bedürftiger Mafioso Tony Soprano zur Geltung: Der liebevolle Familienvater konnte jederzeit in den kaltblütigen Killer kippen.
Die Sopranos» revolutionierte das Fernsehen, sind sich Produzenten und Drehbuchschreiber in der Dokumentation «America in Primetime» einig. Dabei sei die Mafia-Thematik zweitrangig. Tatsächlich erzähle die Serie von einem Familienleben – in einem Amerika, das so voller Egoismus sei, dass sogar ein Macho-Mafia-Boss zum Psychiater müsse.
Soprano blieb an Gandolfini haften
«The Sopranos» lief von 1999 bis 2007. Sie bescherte Gandolfini Ruhm und viele Preise. Darunter drei Emmys und einen Golden Globe, aber sie drohte ihn auch in eine Schublade zu stecken. Immerhin gelang es dem Schauspieler, die latente Bedrohlichkeit, welche Tony Soprano kennzeichnete, auch in ganz anderen Rollen einzubringen, was diese Figuren ihrerseits unberechenbar und faszinierend machte.
Gandolfini hatte nach seinem Studium zuerst am Theater reüssiert, bevor er zum Film wechselte. Als Killer Virgil gelang ihm in Tony Scotts Tarantino-Adaption «True Romance» der Durchbruch. Er wirkte in grossen Hollywood-Filmen wie «Crimson Tide», «The Mexican», «The Last Castle» und «The Taking of Pelham 123» mit. Aber seine markantesten Spuren hinterliess er in Independent-Filmen.
Markante Spuren in Independent-Filmen
Für Nick Cassavetes gab er in «She’s So Lovely» (1997) einen infernalischen Nachbarn. In Todd Robinsons «Lonely Hearts» (2006) jagte er als hartnäckiger Cop das Killer-Paar Salma Hayek und John Travolta. In John Turturros Anti-Musical «Romance & Cigarettes» (2005) besang Gandolfini Susan Sarandon und Kate Winslet und in Armando Iannuccis Satire «In the Loop» (2009) verkörperte er einen erstaunlich friedfertigen US-General. 2010 gab Gandolfini den traumatisierten Familienvater in Jake Scotts «Welcome to the Rileys». In diesem Film nimmt er die herumstreunende Kristen Stewart unter seine Fittiche.
Im Januar war Gandolfini in «Zero Dark Thirty» in den Deutschschweizer Kinos zu sehen. Trotz seines überraschenden Ablebens wird Gandolfini wohl noch einmal ins Kino zurückkehren. Mit der schwedischen Schauspielerin Noomi Rapace drehte er kürzlich den Krimi «Animal Rescue» ab. Der Film des belgischen Regisseurs Michaël R. Roskam soll 2014 auf die Leinwand kommen. Gandolfini wechselte mitunter auch hinter die Kamera und produzierte unter anderem einen Dokumentarfilm über Irak-Veteranen.
120-Kilo schwerer Woody Allen
Privat war der Mime schüchtern und friedlich, so dass er sich mit seinen oft brutalen Rollen mitunter schwertat. Er bezeichnete sich selbst vom Charakter her eher als «120-Kilo schweren Woody Allen». Wie seine Paraderolle Soprano, stammt auch Gandolfini selbst aus einer italienisch-amerikanischen Familie. Vor wenigen Monaten war er selbst Vater geworden. Er war mit dem früheren Model Deborah Lin verheiratet. Aus einer früheren Ehe hatte der Schauspieler zudem einen Sohn.
Als Ursache für seinen plötzlichen Tod hat der US-Fernsehsender HBO Herzversagen angegeben. Der Schluss liegt nahe, dass Gandolfinis Körperfülle dabei eine Rolle gespielt hat. Obschon der Schauspieler im Dezember 2012 in einem Interview gesagt haben soll, dass er sein Alter spüre und nicht mehr so viele gewalttätige Szenen spielen wolle, war nicht bekannt, dass er ernsthafte gesundheitliche Probleme gehabt hätte. Sein Tod während eines Italienaufenthalts hat denn auch seine Nächsten völlig überrascht.