Nero wurde abgeschoben, deportiert. Zurück nach Mexiko. Nun versucht er immer wieder, den Grenzzaun zu überwinden. Nero ist Mexikaner, aber in Los Angeles aufgewachsen, als Sohn eines illegalen Immigranten, der in einem namenlosen Grab mit anderen Immigranten liegt.
Nero will zu seinem Bruder, der in Beverly Hills als Automechaniker arbeitet. Und er will zur Armee: Um sich als sogenannter Greencard-Soldat die amerikanische Staatsbürgerschaft zu verdienen.
Ein liebenswürdiger Spinner
Die Einreise gelingt. Beim Autostoppen nimmt ihn ein Amerikaner mit, der seine kleine Tochter auf dem Rücksitz hat. Nach ein paar Kilometern fordert er Nero auf, das Handschuhfach zu öffnen: Darin liegt eine Pistole.
Der Amerikaner erweist sich als liebenswürdiger Spinner, ein Verschwörungstheoretiker, der etwa behauptet, die Windkraftanlagen in der kalifornischen Wüste seien gasbetrieben und würden in Wirklichkeit die Erde auf Kurs halten. Problematisch wird es, als zwei Polizisten den Mann an einer Tankstelle kontrollieren. Nero verschwindet rechtzeitig.
Vermutungen und Vorurteile
Es ist eine flirrende Spannung, welche der Regisseur Rafi Pitts in diesen Szenen im Auto erzeugt. Sie spielen mit den Klischees des Genrekinos. Beim Publikum werden dadurch Vermutungen geschürt: Ist der Autofahrer nun ein Psychopath mit mörderischen Absichten oder ein getarnter Polizist?
Nach dem gleichen Prinzip funktioniert das Treffen mit Neros Bruder. Der empfängt Nero mit einer heissen Freundin in einer riesigen Luxusvilla in Beverly Hills, mit Pool, Proberaum und vielen ausgestopften Tieren. Wie er sich das Anwesen leisten kann, will er nicht sagen. Nero stellt ihm die Frage, was auch das Publikum als erstes vermutet: «Handelst du mit Drogen?»
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Der latente Rassismus des Genrekinos wird auf diese Weise massiv ausgespielt, weit über jede Handlungs- und Dialog-Logik hinaus. Wenn sich dann schliesslich herausstellt, wie die Dinge tatsächlich stehen, fühlt man sich als Zuschauer doppelt ertappt – und etwas gegängelt.
Bis die Autobombe hochgeht
An diesem Punkt sind sowohl wir als Zuschauer als auch Nero bereit für den letzten Teil des Films. Der Junge geht tatsächlich zur Armee und findet sich schon bald im Mittleren Osten als Teil einer Strassensperre wieder: An der Seite von schwarzen und weissen Kollegen, die wiederum keinen Hehl aus ihren rassistischen Vorurteilen machen. Bis die erste Autobombe hochgeht, die ersten Raketen einschlagen.
Eine zeitgenössische Fremdenlegion
Wie schon bei seinem Film «Shekarchi» («The Hunter»), der die Sniper-Figur aus dem Genrekino an den Rand einer iranischen Stadt verlegte, spielt Rafi Pitts gezielt mit den Elementen und Versatzstücken des Unterhaltungskinos.
Dieses Mal steht im Zentrum allerdings die kaum bekannte Tatsache, dass die US-Army gezielt und systematisch illegale Immigranten rekrutiert: Nach dem System der französischen Fremdenlegion, aber ohne deren Apartheid-Gedanken.
Perfide Verzögerung
Rafi Pitts widmet seinen Film all jenen Greencard-Soldaten, welche nach ihrem Einsatz dann doch deportiert und des Landes verwiesen wurden – unter welchen Vorwänden auch immer.
«Soy Nero» ist ein Film, der den Zuschauer immer wieder auflaufen lässt. Der mit Vorstellungen spielt – und diese Erwartungen nach langer Verzögerung perfiderweise auch erfüllt. Das fasziniert und irritiert, aber das verärgert auch. Die Wut, die er erzeugt, ist keine saubere: Aber vielleicht ist gerade das die grosse Raffinesse dieses Films.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 30.6.2016, 17.15 Uhr
Kinostart: 30. Juni 2016